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Verschleppt

Verschleppt

Titel: Verschleppt
Autoren: Petra Richartz
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angestarrt. Ein Vater hatte uns bedroht und wollte Shawn sogar eine reinhauen. Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich sich Menschen in so einer schlimmen Ausnahmesituation verhalten. Sie fragte sich immer, wie sie wohl reagieren würde. Sie wusste es nicht und sie wollte es nicht wissen. „Sara?!“ Cruz wedelte mit seiner Hand vor ihrem Gesicht. Die Fahrstuhltür ging auf. „Wie sollen wir vorgehen?“, fragte er erneut. „Behutsam“, das war das Einzige, was Sara sagte.

    Sie gingen den endlos weiten Flur entlang bis zum Zimmer 532. Ihre Schuhe quietschten auf dem Linoleumboden. „Ein paar Pflanzen täten der Atmosphäre keinen Abbruch. Findet ihr nicht?“, fragte Cruz, ohne eine Antwort von seinen Kolleginnen zu erhalten. Sie standen vor der Tür. „Lilly und ich gehen rein. Wir wollen sie nicht mit einem Großaufgebot überrumpeln. Cruz, sprich du bitte mit Shawn und hör, ob es was Neues am Tatort gibt und ob die Nachbarbefragung was ergeben hat.“ Cruz nickte und holte sein Handy heraus.

    Lilly und Sara klopften an und betraten den Raum. Das Zimmer sah aus wie ein normales Zimmer, nicht wie ein typisches Krankenhauszimmer. Keine Geräte waren zu sehen. Ein Arzt war gerade bei Amanda Gore und fühlte ihren Puls. Er schaute auf und kam auf die Frauen zu. „Guten Tag“, sagte er leise, so dass Amanda Gore ihn nicht hören konnte. „Robert O’Reilly, ich habe Frau Gore versorgt.“ Sara gab dem Arzt die Hand und nickte ihm zu. „Wie geht es ihr? Sie wissen ja sicher, was passiert ist.“ „Ja, der Rettungssanitäter hat uns kurz aufgeklärt. Ein absoluter Alptraum. Die arme Frau. Ich habe auch zwei Kinder und die Vorstellung...“ Er stockte. Sara sah ihn ernst an. „Wie ist der Zustand von Frau Gore, Doktor?“, fragte sie wiederholt. „Entschuldigen Sie bitte.“ Er holte Luft. „Sie wurde mit einem Schock eingeliefert. Erst sagte sie gar nichts, dann fing sie schrecklich an zu weinen – schließlich wurde sie richtig hysterisch. Sie hat immer nach ihrem Sohn gefragt. Wir haben ihr dann ein starkes Beruhigungsmittel gegeben. Es müsste langsam wirken. Sie ist schon wesentlich ruhiger, Sie können kurz mit ihr sprechen. Dann sollte sie schlafen. Ich würde sie gerne bis morgen Vormittag hierbehalten.“ Lilly schrieb alles mit. „Danke, Doktor.“ O’Reilly verließ den Raum.

    Sara und Lilly näherten sich dem Krankenbett. Amanda Gore schlief, zumindest hatte sie die Augen geschlossen. Sara betrachtete sie. Die Bettdecke lag nur über ihren Beinen, der Krankenhauskittel machte sie noch bleicher als sie schon war. Eine unscheinbare Frau, dachte Sara. Eine Frau, deren Leben gestern noch in Ordnung war. In Sara keimte wieder diese Wut auf. Diese Wut auf die Ungerechtigkeit im Leben. Dann öffnete Amanda die Augen, Sara stockte. Es war, als lägen ihre Augen in einer tiefen dunklen Höhle. Das Einzige, was sie sah, war eine unendliche Traurigkeit. Traurigkeit gemischt mit Verzweiflung. „Haben Sie meinen Sohn gefunden?“, Amanda Gore klang müde. Ihre Stimme war warm und angenehm. „Guten Tag, Frau Gore. Mein Name ist Sara Cooper, das ist meine Kollegin Lilly Preston. Wir sind von der Polizei und bearbeiten das Verschwinden Ihres Sohnes.“ Amanda schloss die Augen. Das Beruhigungsmittel schien sie benommen zu machen. „Frau Gore, können wir Ihnen ein paar Fragen stellen?“ Amanda Gore nickte mit einem gequälten Ausdruck. „Wann haben Sie ihren Sohn das letzte Mal gesehen?“, fragte Sara ruhig. Amanda öffnete die Augen und starrte aus dem Fenster – als würde sie überlegen. „Ich habe ihn heute Morgen gesehen. Wir haben zusammen gefrühstückt. Er hat mir seine Hausaufgaben gezeigt. Alles war wie immer.“ Sie sprach sehr langsam mit längeren Pausen. „Dann sind wir gegen 7.30 Uhr zum Auto und ich habe ihn zur Schule gefahren. Im Auto haben wir noch darüber gesprochen, nächstes Wochenende in den Zoo zu gehen. Wissen Sie, er liebt die Koalas so sehr.“ Sie lächelte. Stille. Sara fing ihren Blick auf. „Um kurz vor acht waren wir da. Ich habe ihn abgesetzt und bin weiter zu meiner Schule gefahren.“

    In ihren Augen standen Tränen, die gefährlich an ihrem unteren Lid zerrten. „Und jetzt ist er weg. Wer macht so was um Gottes Willen? Mein Bryan hat doch niemandem was getan.“ Sie fing schrecklich an zu weinen. Sara überlegte, was sie tun sollte. Lilly nahm einen Stuhl, rückte ganz dicht an Amandas Bett und nahm ihre Hand. Sie blickte sie an und schlug einen leisen Ton
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