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Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)

Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)

Titel: Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
Autoren: Edi Graf
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schon so oft in diesem Frühjahr.
    Nebel, der
sich in der Nacht gebildet hat und den ganzen Tag über nicht gewichen ist, bis sich
die Nacht wieder herein gesenkt hat. Die Afrikanerin hat sich auf das Gelände am
Baggersee geschlichen, solange die Hunde noch im Zwinger sind.
    Sie vertraut
auf ihr Gedächtnis und auf den Instinkt, den sie sich in all den Jahren bewahrt
hat, den Instinkt einer Mutter auf der Suche nach ihrer Tochter. In ihrem Gedächtnis
hat sich der Weg eingegraben, den sie damals gegangen sind, den Weg durch das Tor
im Zaun, durch den Wald bis zu dem Platz, wo der Wagen auf sie wartete. Und dann
weiter durch den Wald bis zum See, an den Kieshalden vorbei und hinaus auf die Straße.
    Es ist wie
ein Film, den sie abrufen kann, und jetzt lässt sie ihn rückwärts laufen. Vorbei
an den Kieshalden, den Fuhrweg um den Baggersee herum und in das hügelige unwegsame
Waldgelände hinein. Sie braucht keine Spuren, keine Wegmarken, sie findet den Pfad
in den Wald, den sie damals gefahren sind.
    Einer der
breiteren Kieswege, der bergauf in den Wald hinein führt und wie ein Hohlweg in
die enge Schlucht mündet. Eine Kurve noch und die Schranke vor der Lichtung, die
ringsum von Buchenwald umgeben ist.
    Hadé weiß,
sie ist fast am Ziel.
    Ihre Hände
umschließen die kalte Eisenstange, die sie auf dem Kieswerkgelände gefunden und
mitgenommen hat. Noch hat sie keine Ahnung, wie sie den Container öffnen soll, um
Doudou zu befreien, doch mit dem Werkzeug kann sie die Tür vielleicht aufbrechen.
    Sie übersteigt
die Schranke und folgt dem Weg, der schon nach wenigen hundert Metern vor einem
breiten Gittertor endet, von dem aus ein Zaun zu beiden Seiten in den Wald hinein
führt. Das Schloss ist nicht zu knacken, die Stacheldrahtschlaufe auf dem Zaun nicht
zu überwinden.
    Hadé blickt
den Zaun entlang und entscheidet sich für links. Nach einigen Metern ist das Drahtgeflecht
aufgeschnitten. Das Schlupfloch ist eng und schmal. Wer hat sich hier Zugang verschafft?,
fragt sich Hadé. Der Boden ist matschig, und sie sieht die Spuren in der feuchten
Erde. Auch sie würde hier Spuren hinterlassen. Hadé zögert. Vielleicht gibt es noch
einen anderen Weg?
    Nach der
nächsten Biegung des Zauns sieht sie einen Baum, der schräg gewachsen ist, ein breiter
Ast ragt wie eine natürliche Brücke über den Zaun.
    Hadé klettert
nach oben, legt ihr breites Tuch über den Stacheldraht und springt auf der anderen
Seite des Zauns zu Boden. Sie findet zwei Baumstümpfe, rollt sie zum Zaun, richtet
sie auf und baut so eine Treppe, mit der sie und Doudou später den Zaun von innen
überwinden können. Niemand wird ihre Spuren an dem Schlupfloch finden und ihnen
so auf die Schliche kommen.
    Leise huscht
sie weiter und erreicht die Lichtung, in deren Mitte der Container steht.
    Hadé jubiliert
vor Freude. Sie hält das Brecheisen wie eine Waffe in beiden Händen, ihr Blick ist
konzentriert auf das Gefängnis gerichtet, aus dem sie in wenigen Minuten ihre Tochter
befreien wird, als sie das Geräusch herumfahren lässt. Hinter ihr steht die Gestalt,
aus dem Nichts aufgetaucht.
    Was nun
geschieht, wird sie nie erklären können. Später wird sie es für einen schlechten
Traum halten, es wird sie aus dem Schlaf reißen, ihr Gewissen plagen, und sie wird
sich wünschen, nie zugeschlagen zu haben. Doch in dem Augenblick, als es passiert,
als das schwere Eisen niederfährt, ist sie nicht Herr ihrer selbst, sie handelt
im Affekt, ohne zu denken, ohne die Chance, den Schlag auszubremsen.
    Ja mehr
noch, sie selbst sieht sich in der Rolle eines Zuschauers, der von außen die Tragödie
verfolgt, ohne eingreifen zu können. Der Mensch, dessen Hände das Eisen führen,
ist geblendet vor Angst, fühlt sich ertappt, überrascht, angegriffen und bedroht.
Ohne zu zögern schlägt dieser Mensch zu, während seine Augen entsetzt auf die Gestalt
starren, die sich hinter ihr aus dem Unterholz erhoben hat.
    Als die
Stange niederfährt und die Gestalt einen Schrei ausstößt, kommt Hadé zu sich, will
den Schlag auffangen, doch es ist zu spät. Mit ungebremster Wucht zertrümmert das
Brecheisen die Schädeldecke des vermeintlichen Angreifers und spaltet ihm die Hirnschale.
In diesem Moment erkennt Hadé das Gesicht einer Frau, deren weit aufgerissene Augen
sie anklagen, deren dünnlippiger Mund noch vom letzten Schrei geöffnet ist, die
blutüberströmt zu Boden sinkt und deren Leben erlischt. Regungslos liegt sie vor
ihr. Tot. Jetzt ist es Hadé, die
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