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Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi

Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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gelöst und angeschoben …«
    »Und die ganze Zeit war niemand da?«, fragt Vesna leise.
    »Ich habe gar nicht darauf geachtet, erst zum Schluss. Nein, da war niemand.«
    »Und Ihr Alibi?«
    Sie lächelt müde. »Ich habe seit Jahren kein eigenes Auto mehr, also kenne ich mich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gut aus. Auf der Landstraße führt eine Buslinie vorbei, die Endstation ist bei der Shopping City. Ich bin dorthin gefahren und habe eingekauft.«
    »An Alibi konnten Sie also schon denken«, stellt Vesna fest.
    »Nein! – Ja, vielleicht, irgendwie, das läuft ab wie ein Film, ich weiß nicht … Ich habe nicht an ein Alibi gedacht, ich konnte doch gar nicht denken, kann es bis jetzt nicht, auch nicht mehr schlafen. Ich wollte doch nichts anderes als Menschen heilen. Und jetzt habe ich einen …« Sie sieht uns an und erhebt sich, Vesna und ich springen alarmiert auf.
    »Ich hole nur etwas«, sagt sie und geht wie eine Schlafwandlerin zu einer Tür. Wir bleiben an ihrer Seite, kommen in einen winzigen Schlafraum. Rosa Tapete. Sie öffnet ihren Kasten. Was, wenn sie eine Pistole hat? Vesna scheint Ähnliches zu denken, sie packt ihren Arm und sagt: »Was ist es? Ich suche!«
    »Da, unter den Pullovern«, sagt die Sprechstundenhilfe.
    Vesna zieht die Police einer Lebensversicherung hervor, sorgfältig geschützt in einer Klarsichthülle.
    »Ich wollte sie seiner Frau geben, aber ich habe nicht gewusst, wie.« Sie weint und kann damit nicht mehr aufhören.
    Ich schnappe die Police, wir führen Nicole ins Wohnzimmer zurück, ich sehe Vesna an. Wir müssen sie in die Sicherheitsdirektion bringen. »Hat sie das verdient?«, flüstere ich Vesna zu.
    »Ich weiß nicht«, antwortet sie.
    Und dann läutet mein Telefon, und Zuckerbrot hat uns die Entscheidung abgenommen. »Mein Hochzeitsgeschenk«, erkläre ich mit belegter Stimme, und wir gehen hinunter zu meinem Auto.
    Die erste Nachthälfte verbringen wir in der Sicherheitsdirektion, warten, geben unsere Aussagen zu Protokoll, warten wieder, bis wir unterschreiben können.
    Dazwischen rufe ich Oskar an und erzähle ihm alles. Er seufzt. »Wenigstens habt ihr den Felsen schon heute entdeckt und nicht erst morgen. Ich kann mir das bildhaft vorstellen: Wir beide in Pose für das Hochzeitsfoto, Vesna irgendwo in der Nähe, und dann klingelt es bei euch, und weg seid ihr.«
    »Was du mir zutraust«, sage ich und versuche, empört zu klingen.
    Wäre natürlich auch eine Möglichkeit gewesen, überlege ich, nachdem ich Vesna heimgebracht habe. Allerdings: Zu dem Zeitpunkt, wo die Hochzeitsfotos gemacht werden, ist die Trauung ohnehin schon vorüber. Zu spät für eine Flucht also. Unsinn. Ich füttere Gismo. Wer weiß, wie lange wir beide hier noch wohnen dürfen.

[ 13 ]
    Der Saal ist nicht besonders romantisch, Teil eines miefigen Amtsgebäudes, aber alle sind sie gekommen, Zuckerbrot und Manninger, auch Gerda – wir haben noch in der Nacht telefoniert, von dem, was Philipp getan hat, wird sie aber nie erfahren. Und auch Peter Königsberger, wieder ganz sonnig und freundlich, die Winzerin Eva Berthold samt Tochter Martina, Billy und Daniel, Angelika Beer in einem etwas zu eleganten figurbetonten Kostüm, natürlich Droch und Vesna und viele andere, die mich und Oskar durch die letzten Jahrzehnte begleitet haben. Sie sitzen hinter uns. Oskar und ich stehen in der Mitte. »Wie bei einer Gerichtsverhandlung«, hat er mir zugeraunt, bevor es losgegangen ist, »aber da kenne ich mich wenigstens aus.« Neben mir Droch, neben Oskar Vesna in ihrem sensationellen roten Outfit. Ich hingegen fühle mich trotz allem etwas verkleidet, doch der Gedanke, dass wir den mütterlichen Ambitionen ein Schnippchen geschlagen und mein Hochzeitskostüm bei H & M gekauft haben, tut gut. Man hat mir Blumen in die Hand gedrückt, ich drehe das Grünzeug in meinen Händen und denke, vielleicht fragt der rotgesichtige Standesbeamte jetzt nach einem Ehehindernis, und wer eines kenne, der möge jetzt sprechen oder für immer schweigen – aber das gibt es wohl bloß in amerikanischen Filmen.
    Ich mag Oskar wirklich, denke ich mir, aber er ist eben nicht das Einzige in meinem Leben, das ich liebe.
    Ich konzentriere mich und merke, dass der Standesbeamte nach den unumgänglichen Begrüßungsfloskeln begonnen hat, eine Rede zu halten. Wir hatten eine schlichte Trauung ohne jede Ansprache vereinbart. Mir war klar, dass ihm das ebenso wenig gefallen hat, wie dass wir unseren jeweiligen Namen behalten
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