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Verräterische Gefühle

Verräterische Gefühle

Titel: Verräterische Gefühle
Autoren: Sarah Morgan
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fünf Minuten ist es so weit. Bist du auch ganz sicher, dass du nicht mitkommen willst?“
    „Nein danke, du kannst ihn ja für uns beide anhimmeln …“
    Erhobenen Hauptes trat Nathaniel auf die Bühne und starrte in die Dunkelheit. Wochenlang hatten sie geprobt, heute war die Stunde der Wahrheit da. Er sah weder das Publikum, noch dachte er an die Kritiker.
    Er war Richard II, der gescheiterte König …
    Gerade öffnete er den Mund, um seine ersten, einführenden Worte an John of Gaunt zu richten, da wurde die erste Sitzreihe von einem Spotlight erhellt. Nathaniels Finger krampften sich um die Krone in seiner Hand, während er in ein vertrautes Antlitz schaute.
    Vertraut … und doch nicht vertraut.
    Zwanzig lange Jahre hatten seine Züge verändert, aber doch nicht so sehr, dass er ihn nicht erkannt hätte. Der Schock traf ihn bis ins Mark und ließ sein Blut zu Eis gefrieren. Und dann raste die Vergangenheit in Überschallgeschwindigkeit auf ihn zu. Ein qualvolles Kaleidoskop von Erinnerungen brach aus den sorgfältig verschlossenen Türen seines Unterbewusstseins hervor wie eine geifernde Meute.
    Schreie und Terror! Aufhören! Macht ein Ende! Blut … überall Blut! Tut etwas!
    Er fühlte sich hilflos, so schrecklich hilflos. Sein Herz klopfte zum Zerspringen.
    Nathaniel schaute auf seine verkrampften Hände, die immer noch die Krone umklammert hielten. Da war kein Blut. Seine Hände waren sauber. Trotzdem konnte er sich nicht bewegen. Sein Hirn war wie eingefroren, die Gliedmaßen gelähmt durch die Erkenntnis seiner eigenen Unzulänglichkeit.
    Schuldgefühle überfielen ihn, und benommen fragte er sich, wie man gleichzeitig vor Kälte zittern und schweißgebadet sein konnte.
    Das Raunen in den Zuschauerreihen erreichte ihn wie durch einen dichten Nebel. Verzweifelt kämpfte er darum, das Kapitel aus der Vergangenheit zu schließen und in seine aktuelle Rolle zurückzufinden.
    Ich bin Richard! dachte er verschwommen. Richard der II, König von England …
    Er versuchte es zu fühlen, doch es gelang ihm nicht. Alles schien ihm zu entgleiten. Nathaniel presste die Lider zusammen, doch als er sie wieder öffnete, blickte er in ein vertrautes Augenpaar, in dem er die unausweichliche Wahrheit las.
    Du bist nicht Richard der II, sondern Nathaniel Wolfe, ein Schauspieler mit einem realen Hintergrund, der dramatischer nicht hätte sein können.
    Wäre Shakespeare noch am Leben, hätte er aus der Wolfe-Familiensaga eine Tragödie in drei Akten gemacht! dachte Nathaniel bitter. Keine Komödie, kein Happy End. Nur das Leben in seiner schwärzesten Form. Immer noch versuchte er mit aller Gewalt, seine Fassung wiederzuerlangen, doch dabei versank er nur noch tiefer im Sumpf der Vergangenheit.
    Warum kehrt er ausgerechnet heute zurück? fragte er sich dumpf. Warum jetzt, wo wir alle uns ein neues Leben aufgebaut haben?
    Eine heiße Wut erfasste ihn mit einer Kraft, die ihn erschreckte und gleichzeitig auf eine fast magische Weise belebte. Er musste Annabelle warnen! Und zwar so schnell wie möglich!
    Das leise Raunen im Theater steigerte sich langsam zu hörbaren Missfallenskundgebungen. Selbst die Zuschauer, die bisher geglaubt hatten, der Mime gebrauche die dramatische Pause, um seinem Auftritt ein Maximum an Spannung zu verleihen, merkten langsam, dass sie sich geirrt hatten.
    Nathaniel hob das markante Kinn und straffte die breiten Schultern wie ein Kämpfer, der sich seinem Gegner stellt. Ein letztes Mal versuchte er, den eindrucksvollen Text zu deklamieren, doch er konnte sich nicht einmal an den Wortlaut erinnern. Seiner Tarnung beraubt, war er gezwungen, die Rolle zu spielen, die ihm sein Leben lang eher eine Last als eine Lust gewesen war … die des Nathaniel Wolfe.
    „Ladys und Gentlemen …“ Seine tiefe Stimme, kalt und frei von jeder Emotion, drang bis in die hintersten Zuschauerränge. Sorgfältig achtete er darauf, nicht zu dem Mann in der ersten Reihe zu schauen. Sonst würde er sich womöglich noch so weit vergessen und von der Bühne stürzen, um ihn zu erwürgen. „Die heutige Vorstellung fällt aus. Bitte lassen Sie sich Ihr Geld an der Theaterkasse zurückgeben.“
    Nachdem Katie noch einmal sorgfältig die Unterlagen für ihr anstehendes Bewerbungsgespräch durchgesehen hatte, streckte sie ausgiebig die verkrampften Gliedmaßen, unterdrückte ein Gähnen und verließ die Garderobe.
    Hier, hinter der Theaterbühne war es geradezu gespenstisch still. Auf der anderen Seite des Vorhangs hing das
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