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Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Titel: Vermächtnis des Schweigens (German Edition)
Autoren: Heather Gudenkauf
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ist unser Tag mit Aufgaben und Gruppensitzungen angefüllt, deren Themen vom Umgang mit Finanzen über Aggressionskontrolle bis zur Vorbereitung auf Bewerbungsgespräche reichen.
    Ich setze mich auf das untere Bett und hüpfe ein wenig. Die Federn sind fest, aber nachgiebig. Es fühlt sich wie ein echtes Bett an, nicht wie die harten Pritschen in Cravenville mit ihren groben, kratzigen Laken, die nach Bleiche rochen. Ich nehme mir ein weiches Kissen und vergrabe meine Nase darin. Es riecht nach Lavendel, und ich spüre, wie die Tränen in meinen Augen brennen. Vielleicht wird es hier gar nicht so schlimm. Auf keinen Fall kann es schlimmer sein als das Gefängnis. Vielleicht werden die anderen Frauen lernen, mich zu mögen. Vielleicht werden meine Eltern nichts mehr darauf geben, was die Nachbarn denken, und mich wieder als ihre Tochter willkommen heißen. Und vielleicht, ganz vielleicht, wird Brynn mir vergeben.
    Ich atme noch einmal tief ein und lasse dann das Kissen sinken. In dem Moment sehe ich es. Ausdruckslose Augen starren mich an, und das verschmierte Plastikgesicht ist in einem halben Lächeln eingefroren. Ich hebe die Babypuppe auf. Sie ist alt und ramponiert und sieht aus, als wenn sie aus dem Müll kommt. Mit schwarzem Permanent Marker hat man ihr ein Wort quer über die Brust geschrieben, von dem ich weiß, dass es mich überallhin verfolgen wird, egal wohin ich gehe. Mörderin.

CLAIRE
    Im Bookends ist es dämmrig und ruhig. Ein plötzlicher Regenguss hat an diesem Samstagnachmittag die drückende Augusthitze und alle Kunden vertrieben. Während Claire Kelby eine Kiste mit Büchern auspackt, steckt Joshua seinen Kopf hinter dem Tresen hervor. Sein blondes Haar steht ihm zu allen Seiten vom Kopf ab. Sie unterdrückt den Drang, ihre Finger zu benetzen und die wirren Strähnen zu glätten. Mit seinen dunkelbraunen Augen schaut er sie erwartungsvoll an.
    „Kann ich Ihnen helfen, junger Mann?“, fragt Claire ihren Sohn in gespielter Ernsthaftigkeit.
    „Mir ist langweilig“, entgegnet Joshua trübsinnig und tritt gegen den Tresen.
    „Du hast schon alle Bücher von da hinten gelesen?“, fragt Claire ihn, und Joshua wirft einen Blick über seine Schulter auf die Reihen und Reihen an Büchern in den Regalen. Er nickt und versucht, ein Lächeln zu unterdrücken.
    „Hm-hm“, sagt Claire skeptisch. „Wo ist Truman?“
    „Der schläft“, quengelt Joshua und zieht die Augenbrauen zusammen. „Wieder mal.“ Truman ist ihre sechs Jahre alte, rot gefleckte Englische Bulldogge.
    „Da kann ich ihm keinen Vorwurf machen. Es ist ein regnerischer Tag, genau das richtige Wetter für ein Nickerchen“, erwidert Claire. „Willst du mir helfen? Ich muss noch viele Kisten öffnen und Bücher einsortieren, bevor wir schließen können. Oder möchtest du vielleicht auch ein Nickerchen machen?“
    „Ich bin nicht müde“, widerspricht Joshua dickköpfig, obwohl seine Augen schon ganz klein sind. „Wann kommt Daddy?“
    „Er wird bald hier sein“, versichert Claire ihrem Sohn und beugt sich über den Tresen, um ihm einen Kuss auf sein blondes Haar zu drücken. Sie schaut sich in dem Buchladen um, der für sie sowohl ein Zufluchtsort als auch ein Joch gewesen ist. Vor Jahren hatten der Laden und die mit ihm einhergehende Verantwortung sie davor bewahrt, verrückt zu werden. Die langenStunden hatten ihren Geist beschäftigt und sie von der Tatsache abgelenkt, dass ihr Körper, der ihr die ganzen Jahre über so gut gedient hatte, schließlich den ultimativen Verrat an ihr begangen hatte. Manchmal traf sie die Erkenntnis so plötzlich und derart heftig, dass sie sofort mit dem aufhören musste, was sie gerade tat – einem Kunden helfen, Bücher auspacken, ans Telefon gehen –, um ganz bewusst die Angst niederzuringen, die ihr Herz mit eisernem Griff umschloss, bis sie wieder atmen konnte.
    Dann war auf unerklärliche Weise Joshua zu ihnen gekommen, so wie es Wunder oft tun. An einem ganz normalen Tag, lange nachdem sie sich damit abgefunden hatten, dass sie niemals ein eigenes Kind haben würden, ob auf biologische oder auf andere Weise. Und jetzt schien Bookends mehr und mehr alle Zeit zu beanspruchen, die sie mit ihrem Sohn verbringen wollte, musste. Bald würde er in den Kindergarten kommen, und sie wachte erbittert über ihre gemeinsame Zeit, auch wenn sie wusste, dass er viel lieber draußen spielen würde, als mit ihr im Buchladen zu sein.
    Claire hatte sich um alle geschäftlichen Aspekte gekümmert, die mit
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