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Verlorene Eier

Verlorene Eier

Titel: Verlorene Eier
Autoren: S Scarlett
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sprießen. So stellt sich unter Garantie keiner Angela Huxtable vor.
    Trotzdem bin ich völlig aus dem Häuschen wegen meiner Idee. Ich kippe den letzten Rest meines Espressos hinunter.
    »Ich habe das schon mal gemacht, Gerald. Eine Frau gespielt, meine ich.«
    »Wann?«
    »Ich habe die Madame Arcati in Geisterkomödie gespielt. Mit dreizehn.«
    Die Augen meines Agenten beginnen zu leuchten. »Wenn du dir den Bart abrasieren würdest …«
    »Genau. Viel Make-up, große Brille, Perücke. Wie hieß dieser Film noch?«
    » Tootsie . Meine Güte, Bill, glaubst du, es könnte funktionieren?«
    »Im West End gibt es Schauspieler, die so etwas jeden Abend tun, Gerald.«
    »Du hast völlig recht. Manche sogar im Theater!«
    Wir lachen so schallend, dass sich die Leute am Nebentisch zu uns umdrehen. Aber das ist die Antwort auf all unsere Fragen – ich bin Angela Huxtable. Ich werde Angela Huxtable einfach spielen. Okay, den Kopf wird sie wohl keinem verdrehen; wenn ich ganz ehrlich bin, ist sie sogar eine potthässliche Kröte. Andererseits ist das nichts Neues. Autoren stehen in puncto Optik häufig nicht gerade auf der Gewinnerseite. Es hat durchaus seine Gründe, weshalb wir im Verborgenen agieren. (Wenn Sie mir nicht glauben, sehen Sie sich nur mal Fotos von Stephen King oder Joyce Carol Oates an.) Mittlerweile ist Angela Huxtable seit zwölf Romanen mein Alter Ego, und ich habe ein erstaunlich klares Bild von ihr vor meinem geistigen Auge. Obwohl Hunde, Pferde, Bienen und die Jugend als Tochter eines Armeeangehörigen das Bild von Tweedjacketts, Steppwesten und Seidenschals – eine Art literarischer Königin von England – heraufbeschwören, sehe ich sie völlig anders. Für mich gleicht sie mehr einem verletzten Vögelchen. Ein zarter Hauch der Tragödie umgibt sie; eine Aura vor langer Zeit erlittener Verluste und tiefen Seelenschmerzes. Sie ist Kristin Scott Thomas in einer ihrer Rollen als mürrisches Ekel. Natürlich wird niemand in den sechs amerikanischen Großstädten diese Angela zu sehen bekommen. Das ist das Tolle an Menschen, die alle zu kennen glauben, selbst wenn sie sie noch nie im Leben gesehen haben – Radiomoderatoren, Autoren, Blind Dates. Sie sind nie so, wie man sie sich vorgestellt hat.
    Gerald bestellt eine zweite Flasche Champagner, um auf die Rückkehr unserer Brillanz anzustoßen. Die Erleichterung ist ihm ins Gesicht geschrieben. Einen Moment lang frage ich mich, ob er insgeheim darauf gewartet hat, dass ich von mir aus diesen Vorschlag mache – die Lösung eines Problems selbst zu finden ist schließlich immer besser, als sie von jemand anderem aufs Auge gedrückt zu bekommen.
    »Du bist allerdings ziemlich groß für eine Frau, Bill«, meint er und hat Mühe, seine Belustigung zu verbergen.
    »Ich werde flache Schuhe tragen.«
    »Dein Gesicht ist zum Glück recht klein und schmal. Das ist gut.«
    »Flirtest du gerade mit mir, Gerald?«
    »Willst du blond sein? Oder brünett?« Er unterdrückt ein Schnauben. »Oder gar mausgrau?«, fügt er quiekend hinzu.
    »Gerald! Wie ich sehe, nimmst du das Ganze nicht ernst.«
    »Was ist mit deinen Beinen?« Seine Gesichtszüge drohen ihm vollends zu entgleiten. »Hast du … sind sie …« Er hält inne und reißt sich zusammen. Tiefer Atemzug. »Also. Sind sie schon lange ein Paar?«
    Und dann gibt es kein Halten mehr. Wir gackern wie zwei Schulmädchen. Vor den Augen von Abi Titmuss, dem Chefredakteur des Independent und James Bond.
    4
    Gerald steigt in ein Taxi, nachdem ich sein Angebot, mich ein Stück mitzunehmen, abgelehnt habe und mich zu Fuß auf den Weg mache. Ich habe vergessen, wie es sich anfühlt, nach einem alkoholisierten Mittagessen zur Feier eines schmutzigen kleinen Geschäfts in der einbrechenden Dämmerung durch die Londoner Straßen zu schlendern. Als ich noch in der Fleet Street gearbeitet habe, kam so etwas im Schnitt dreimal die Woche vor.
    Irgendwann stehe ich am Trafalgar Square und blicke staunend wie ein Tourist zu Lord Nelson hinauf. Dann schweift mein Blick die Whitehall entlang zu Big Ben. Die Autos preschen die Straße entlang, ein Bus rauscht dröhnend an mir vorbei. Ja, ganz recht. Dröhnend. Knirschende Gänge und kreischendes Metall auf Metall. Schwankend stehe ich in seinem Windschatten, während rings um mich Zigarettenkippen und leere Chipstüten aufwirbeln. Wer um alles in der Welt sind diese Menschen, die so dringend irgendwohin müssen? Dort, wo ich lebe, gibt es nur wenige Gründe, derartig in
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