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Verloren unter 100 Freunden

Verloren unter 100 Freunden

Titel: Verloren unter 100 Freunden
Autoren: Sherry Turkle
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und das Wohlwollen dieser Menschen.
    Die Arbeit, die ich hier vorstellen möchte, beinhaltet, wie all meine Werke, Feldforschung und klinische Studien. In der Feldforschung geht man dorthin, wo Menschen und ihre Technologien zusammentreffen, und beobachtet die Interaktionen, stellt Fragen und macht sich detaillierte Notizen. Je nachdem, um welche Art von Örtlichkeit es sich handelt, kann es zu zwanglosen Gesprächen bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Milch und Keksen kommen. Ich gebe Kurse in Computerkultur und der Psychologie der Computernutzung, und ein Teil des hier verwendeten Materials stammt aus dem Austausch im Seminarraum. Für die klinische Komponente meiner Arbeit führte ich detaillierte Befragungen im Büro oder an anderen ruhigen Orten durch. Ich bezeichne diese Studien als »klinisch«, aber meine Rolle dabei ist natürlich die der Forscherin, nicht die der Therapeutin. Mein Interesse an der Innengeschichte der Technik bedeutet, dass ich versuche, in meiner Arbeit die Sensibilität des Ethnografen mit der des Klinikers zu vereinen. Ein feinfühliger Ethnograf ist immer empfänglich für einen Versprecher, für eine Träne, für eine unerwartete Assoziation. Das Ergebnis bezeichne ich als »intime Ethnografie«.
    In meinen Roboter-Studien habe ich die Artefakte zur Verfügung gestellt (von primitiven Tamagotchis und Furbys bis hin zu anspruchsvollen Robotern wie Kismet und Cog). Dies hat es mir ermöglicht, Kinder und Senioren aus einem breiten Spektrum an sozialen und wirtschaftlichen Hintergründen zu studieren. Bei meiner Forschung zum vernetzten Leben habe ich keine Technik zur
Verfügung gestellt. Ich habe mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gesprochen, die bereits einen Internet-Anschluss und ein Handy besaßen. Selbstredend beziehen sich meine Behauptungen über neue Konnektivitätsgeräte und das Ich auf jene Menschen, die sich derlei Dinge leisten können. Wie sich herausstellte, war diese Gruppe größer, als ich ursprünglich angenommen hatte. So kam zum Beispiel im Frühjahr 2008 bei einer Studie an einer Highschool heraus, dass jeder Schüler, egal mit welchem wirtschaftlichen und kulturellen Hintergrund, ein Handy besaß, mit dem er SMS verschicken konnte. Die meisten Schüler besaßen internetfähige Handys. Ich studierte ein Zielobjekt, das sich ständig in Bewegung befand. Im Januar 2010 hieß es in einer Nielsen-Studie, dass der durchschnittliche Jugendliche im Monat über dreitausend SMS sendet. 4 Mein Datenmaterial deutet darauf hin, dass die Zahl stetig größer wird. Was ich hier berichte, ist nichts anderes als die sich offenbarende Zukunft.
    Meine Forschung geht weiter. Heute stehen Eltern Schlange, um ihren Kindern interaktive Zhu-Zhu-Roboterhamster zu kaufen, für die mit dem Slogan »Sie leben, um deine Liebe zu spüren« geworben wird. Und eines der beliebtesten Online-Programme ist Chatroulette mit 1,5 Millionen Nutzern, das den Besucher wahllos mit anderen Nutzern auf der ganzen Welt verbindet. Man sieht einander in Echtzeit auf dem Bildschirm. Man kann miteinander reden oder sich schreiben. Meistens klicken die Leute nach zwei Sekunden auf »weiter«, um sich die nächste Person auf den Bildschirm zu holen. Es scheint nur folgerichtig, dass Zhu-Zhus und Chatroulette die letzten »Objekte« sind, über die ich in diesem Buch berichte: Zhu Zhus wurden entwickelt, um geliebt zu werden; bei Chatroulette sind Menschen das Objekt und werden blitzschnell entsorgt. Ich beende meine Geschichte an einem Punkt von verstörender Symmetrie: Wir scheinen fest entschlossen, Objekten menschliche Eigenschaften
zu verleihen und begnügen uns selbst damit, einander wie Objekte zu behandeln.
    Um die Anonymität der von mir befragten oder beobachteten Personen zu wahren, habe ich in der Regel ihre Namen geändert, außer ich wurde ausdrücklich darum gebeten, den Namen zu nennen; die von mir zitierten Wissenschaftler werden natürlich unter ihrem richtigen Namen angeführt. Ohne die echten Namen und Orte zu nennen, möchte ich allen Beteiligten meinen Dank aussprechen, natürlich auch den Schulleitern, Lehrern, Heimleitern und Pflegern, die mir diese Arbeit ermöglicht haben. Ich habe den Umgang mit Robotern in zwei Altenheimen beobachtet und verfüge über Daten von Schülern aus sieben Highschools (zwei öffentliche gemischte Schulen; fünf private Schulen, davon eine für Mädchen, zwei für Jungen, eine gemischte Schule und eine gemischte katholische Schule). In einigen Fällen
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