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Verliebt und zugenäht!: Roman (German Edition)

Verliebt und zugenäht!: Roman (German Edition)

Titel: Verliebt und zugenäht!: Roman (German Edition)
Autoren: Susanne Becker
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heute vorgeworfen, als sie zum Nähteversäubern an dieser speziellen Maschine saß. »Wenn Sie das Gerät nicht schnell wieder freigeben, können Ihre Kolleginnen nicht zügig weiterarbeiten.« Dass es durch solche Tiraden noch nie schneller gegangen war, kapierte sie offensichtlich nicht.
    heimlich mitstoppen, erklärte sie Emma: »Sie brauchen an der Overlock etwa eineinhalb Mal länger als die anderen!« Das war zwar vielleicht nicht ganz aus der Luft gegriffen, aber das Einfädeln fiel bei dieser Maschine so gut wie jeder Schneiderin ziemlich schwer und war daher allseits verhasst. Was dazu führte, dass alle – und nicht nur Emma – an der Overlock mit größter Sorgfalt und deshalb langsamer arbeiteten, um ja nicht zu riskieren, dass auch nur ein Mal der Faden riss.
    »Wenn sich Mister Thacker nun bewusst gemacht hätte, dass er ein Schlappschwanz war, und Sie auf Knien kriechend bitten würde, es sich noch einmal zu überlegen? Würden Sie dann Ihre Meinung ändern?«, fragte Hugh Grant im selben Moment vorsichtig dazwischen. In Emmas Kopf wurde seine Liebeserklärung jedoch übertönt von schrillen Vorwürfen und Ermahnungen, die dröhnend gegen ihre Schläfen pochten: »Flott, flott«, »rascher«, »zügig voran« – Frau Stich schien über einen riesigen Karteikasten mit Vokabeln zum Thema Schnelligkeit zu verfügen, aus dem sie tagtäglich schöpfte.
    »Für immer«, antwortete Julia Roberts gerade sanft und glücklich lächelnd auf die finale Frage, wie lange sie in England bleibe. Doch Emma hörte in diesen Worten einzig und allein die Ankündigung einer lebenslangen Knechtschaft. Die Vorstellung, ihre Tage bis zur Pensionierung wehrlos in den Fängen dieser Peinigerin zu fristen, ließ sie erneut in Tränen ausbrechen. Sie sah die dünnen Spinnenfinger der Chefin mit den perfekt lackierten Fingernägeln vor sich und hatte das Gefühl, bereits jetzt unlösbar in den klebrigen Fäden ihres Netzes verfangen und dem Tode geweiht zu sein.
    Was hatte sie sich nach dem Abitur alles erträumt! Schneiderin wollte sie werden. Nun ja, das hatte sie geschafft. Aber eigentlich wollte sie danach Modedesign studieren, um irgendwann einmal selbst die schönsten Kleider zu entwerfen. Und was war daraus geworden? Nichts. Stattdessen ließ sie sich jetzt schon seit sechs Jahren von der Stichsäge knechten, ohne auch nur einen einzigen Schritt in Richtung ihres eigentlichen Ziels weitergekommen zu sein.
    Sie vergrub das Gesicht im geblümten Stoff eines ihrer selbst genähten Kissen auf dem Bett. Beinahe hätte sie dadurch verpasst, wie William Thacker der hochschwangeren Anna Scott auf der alles entscheidenden Bank im Park ein letztes Mal vorlas, während die Kamera die beiden zu den Klängen von Elvis Costellos »She« sanft umrundete. Und das wäre wirklich schade gewesen, da doch genau diese Sequenz Emmas absolutes Lieblings-Happy-End war. Trotzdem war nach den überaus unerfreulichen Ereignissen des heutigen Tages noch ein weiteres vonnöten.
    Emma warf einen Blick auf die unbekleidete Schneiderbüste neben ihrem Nähtischchen und fühlte sich ähnlich nackt. Kein Traummann, kein Traumberuf, kein Traumleben. Da konnte einem schon mal zum Heulen zumute sein.
    Sie legte Manhattan Love Story ein und startete den Film bei genau 1.20.10 mit dem äußerst passenden Ausspruch: »Was wir machen, definiert nicht, wer wir sind. Uns definiert, wie gut wir uns hochrappeln, wenn wir gefallen sind.« Erst dieser Satz von Bob Hoskins gab Emma die nötige Zuversicht, um am nächsten Tag der Chefin erneut unter die Augen treten zu können.
    Sie schniefte ein letztes Mal. Es hatte wieder einmal geholfen. In Ordnung, sie würde sich nicht kleinkriegen lassen. Bob alias Lionel hatte recht. Und vielleicht würde auch sie irgendwann für ihre Ausdauer belohnt, so wie Marisa alias Jennifer Lopez, die immerhin nach weiteren fünfzehn Minuten den zukünftigen Senator Christopher bekommen sollte.
    Und am Ende des Films wurde Marisa auch noch der Weg zu einer beruflichen Karriere geebnet. Vielleicht würde sie selbst das auch noch irgendwann schaffen. Eine richtige Karriere musste vielleicht gar nicht sein. Aber selbstständiges Arbeiten, eventuell sogar das Entwerfen eigener Kreationen wäre für die absehbare Zukunft schon wünschenswert. Ein zumindest versöhnlicher Abschluss für den ziemlich verkorksten Tag, dachte Emma noch, bevor sie sich in ihre Kissen kuschelte und einschlief.
    Der erste Blick in den Spiegel am nächsten Morgen
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