Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Titel: Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Enger
Vom Netzwerk:
Zigaretten geraucht, aber nach dem Feuer hat er mit dem Rauchen aufgehört. Flammen und Glut machen ihm Angst. Er kann nicht hineinsehen, ohne in dem Rot-Orange die Augen seines Sohns zu erahnen.
    Die Tür öffnet sich, und eine Frau kommt heraus. Sie hat braunes Haar und trägt einen beigen Mantel.
    »Entschuldigen Sie«, sagt Henning und geht ihr entgegen, und sie verlangsamt ihre Schritte. »Arbeiten Sie hier?«
    Die Frau, deren Gesicht sogleich wachsam wird, antwortet zögernd mit Ja.
    Henning weiß, dass die Brandnarben in seinem Gesicht abstoßend wirken, insbesondere bei Dunkelheit. Er legt ein Lächeln auf, das entwaffnend wirken soll.
    Die Frau geht weiter. »Tut mir leid, fragen Sie jemand anderen«, sagt sie.
    »Ich …«
    »Ich möchte nicht mit jemandem wie Ihnen reden.«
    Henning bleibt stehen. Er hat schon eine Replik auf den Lippen, behält sie dann aber doch für sich.
    Zehn Minuten später kommt ein Mann heraus, der zwar bereitwillig stehen bleibt, aber kaum Norwegisch versteht, geschweige denn spricht, was ihn allerdings nicht davon abhält, fröhlich draufloszuplappern. Henning glaubt zu verstehen, dass er die Fußböden in der ersten und zweiten Etage gewischt, dass er aber keine Ahnung hat, was zwei Stockwerke über ihm passiert ist.
    »Nur Verrückte«, sagt der Mann.
    Henning bleibt stehen. »Verrückte?«
    »Ja, plemplem …« Der Mann lächelt und offenbart eine Reihe kreideweißer Zähne.
    »Aha«, sagt Henning.
    Der Mann streckt ihm den erhobenen Daumen entgegen, bevor er mit dem Fahrrad davonfährt.
    Dann war das Opfer also dement, hält Henning fest. Bei Weitem nicht genug für einen Artikel, aber ein interessantes Detail. Trotzdem braucht er mehr.
    Die Angestellten unterliegen sicher der Schweigepflicht, doch eine solche Formalität hat ihn noch nie aufgehalten. Aus Erfahrung weiß er, dass irgendjemand immer den Mund aufmacht. Es kommt nur darauf an, diesen Jemand zu finden und zum Sprechen zu bringen.
    Was nicht leicht ist an einem Sonntagabend.
    Eine Frau in einem Hijab kommt aus dem Gebäude. Henning setzt erneut ein Lächeln auf, nur um gleich wieder abgewiesen zu werden.
    Er versucht es bei einem Mann mit dunklen Bartstoppeln und erfährt, dass der bei seiner Mutter zu Besuch war und deshalb jetzt das Spiel zwischen Brann und Vålerenga im Fernsehen verpasst.
    Henning will sich schon wieder zurückziehen und darauf setzten, dass 6tiermes7, seine heimliche Chatquelle bei der Polizei, ihm mit ein paar Details weiterhelfen kann, als ein Mann in schwarzer Lederjacke aus dem Heim kommt. Die langen blonden Haare schwingen beim Gehen rhythmisch hin und her. Henning hat das Gefühl, den Mann schon einmal irgendwo gesehen zu haben, und geht auf ihn zu.
    »Hallo, mein Name ist Henning Juul, ich arbeite für 123nyheter. Kann ich Sie kurz etwas fragen?«
    Der Mann sieht auf. »Keine Zeit«, sagt er und läuft weiter.
    »Ich kann Sie begleiten, wenn Sie mögen.«
    Der Mann sagt dazu nichts, Henning nimmt aber im Blick seines Gegenübers ebenfalls eine Art Wiedererkennen wahr.
    »Was ist da oben passiert?«
    Der Mann senkt den Blick.
    »Ich werde Sie auf keinen Fall zitieren. Ich versuche nur, mir ein Bild dessen zu machen, was hier vorgefallen ist. Wenn ich richtig informiert bin, wurde eine alte, demente Frau ermordet?«
    Der Mann sieht an ihm vorbei. »Sorry, aber ich muss wirklich nach Hause, mein Sohn …« Der Mann hält mitten im Satz inne, sein Blick flackert.
    Henning geht weiter neben ihm her. »Okay«, sagt Henning beschwichtigend. »Nehmen Sie die hier …« Er zieht eine Visitenkarte aus der Jackentasche. »Wenn Sie Lust haben, mir etwas zu erzählen, egal ob on oder off the record, rufen Sie mich einfach an. Zu jeder Tages- und Nachtzeit, okay?«
    Der Mann nimmt Hennings Karte mit einem Zögern entgegen.
    »Danke, dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Ich hoffe, Ihr Sohn schläft noch nicht …«
    Er sieht dem Mann lächelnd nach, der sich noch mehrmals umdreht, ehe er im Dunkel verschwindet.
    Da haben wir doch eine interessante Person, denkt sich Henning. Einer, der sich von der Masse unterscheidet. Ein Angestellter, der nach der Arbeit nicht müde, sondern eher ängstlich wirkt. Oder verschreckt.
    Henning spricht noch ein paar andere Leute an, ehe er eine Stunde später nach Hause geht und sich in der Hoffnung, 6tiermes7 zu erreichen, an den Computer setzt. Parallel schickt er gleich mehrere Nachrichten an Bjarne Brogeland, der ihn etwas später tatsächlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher