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Verkehrt!

Verkehrt!

Titel: Verkehrt!
Autoren: Thorsten Nesch
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verstehe sie nicht. Und weil es mich auch nicht interessiert, frage ich nicht nach, sondern klopfe gegen die Schlafzimmertür und rufe, – Harry, bist du alleine? Harry!
    Jetzt meldet sich die Studentin hinter mir lauter, – Klar ist Harry alleine, ich bin doch hier.
    Ich rufe über meine Schulter, – Glaub mir, das heißt nicht viel bei ihm, Babsi.
    – Gesine! Ich heiße Gesine.
    – Whatever.
    Ich ziehe meine Nase hoch.
    – Ja, komm rein, ruft mein Erzeuger aus dem Schlafzimmer.
    Ich öffne die Tür. Er sitzt auf der Matratze mit dem Rücken an der Wand. In einer Hand hält er den Aschenbecher, mit der anderen kratzt er sich am Kopf, und da er in der auch die Selbstgedrehte hält, sieht es für einen Moment aus, als qualme sein Schädel. Aber das ist unmöglich. Von was denn auch?
    Die Decke ist so weit heruntergerutscht, dass sie die Rassel seiner auf den Rücken tätowierten Klapperschlange am Becken entblößt. Der Kopf beißt ihm in den Nacken, während sich das Tier über seinen Rücken rekelt bis auf seine rechte Arschbacke. Geschmack für Tätowierungen hat er, das muss ich ihm lassen.
    Er zieht an der Zigarette und nuschelt an der Selbstgedrehten im Mund vorbei, – Was gibt’s, Frank?
    – Schule, sage ich und lasse das im Raum stehen wie den süßen Geruch hinter all dem Muff und Nikotin.
    Schwer zu sagen, ob er schon was zwischen den Tabak gemischt hat oder ob der süßliche Geruch von letzter Nacht stammt.
    – Ist schon wieder Montag?
    – Nein.
    – Was dann?
    – Rate mal.
    – Freitag?
    – Nein!
    – Mach’s nicht so spannend.
    – Harry, es ist Mittwoch.
    – Red kein Scheiß.
    – Kein Scheiß.
    – Oh, sagt er noch geistesabwesend und scheint gedanklich abzudriften.
    – Und? Hallo? Kohle?
    – Habe ich hier nicht. Guck mal in meiner Hose, die müsste irgendwo im Wohnzimmer liegen. War hart gestern. Nimm dir, was du brauchst. Er wedelt mit der Kippe in meine Richtung.
    Die Klospülung rauscht.
    Ich nicke hinter mich, – Studentin?
    – Ja …
    – Lehramt?
    – Gut geraten. Erzieherin. Woher …?
    – Kunststudentinnen zieren sich nicht so, Wirtschaftsstudentinnen hätten abgeschlossen, Naturwissenschaftlerinnen …
    Er schnappt sich das Kissen und holt aus. Ich springe lachend in den Flur und ziehe die Tür zwischen uns zu.
    – Hey, darf ich vielleicht mal durch, Kleiner?!, fragt mich die Studentin, die sich ein Badetuch umgeschlungen hat.
    Kleiner!
    – Bitte, Beate!, sage ich und trete zur Seite.
    – Gesine!
    – Ja, ja.
    Sie öffnet die Tür.
    – Olé, sag ich.
    Und das Kissengeschoss haut Gesine mit voller Wucht aus dem Handtuch.
    Das Kaliber unserer Kissen ist nicht zu verachten. Ich weiß nicht, ob Harry schon mal die Bezüge gewaschen hat, und bei all seinem Sport im Bett ist der akademische Schweiß über Generationen in die Daunen gezogen. Ein Kissen wiegt so viel, als hätte sich niemand die Mühe gemacht, die Gänse zu rupfen, sondern die Tiere ganz da reingestopft.
    Dementsprechend stolpert die Studentin zurück, ihre hennagefärbte Haarpracht fliegt nach vorne, mit den Händen sucht sie Halt, den sie nicht findet, und sie poltert zu Boden.
    – Süße!, ruft Harry, und ich höre seine Füße über das Linoleum schmatzen.
    Was für einen Körper die hat! Wieso stehen so Perlen auf meinen Alten? Rasch zieht sie die Beine an und dreht sich zur anderen Seite weg.
    Er fegt an mir vorbei und wirft sich neben sie, betatscht sie, mit der Zigarette im Mund, nuschelt, – Gesine, Gesine …
    Ich steige an ihnen vorbei und sage zu Harry, – Hast du schon was gesoffen? Du bist doch sonst nicht so treffsicher.
    Er springt auf.
    Lachend fliehe ich vor meinem Vater aufs Klo.

5

    Hinter uns schließt sich schnurrend das breite Tor der Doppelgarage. Langsam rollen wir in unserem Porsche Cabrio die Einfahrt herunter. Das Dach ist noch offen von gestern, die Luft ist warm genug.
    Unsere Nachbarin grüßt uns von ihrem grünen Rollator aus. Um diese Uhrzeit holt sie immer die Zeitung aus dem amerikanischen Postkasten, der neben dem Gartentor aus dem Rasen ragt.
    – Guten Morgen, Frau von Enwieh.
    – Guten Morgen.
    – Na, Elizabeth, geht’s zur Schule?
    – Ja.
    – Ein wunderschöner Tag.
    – Allerdings.
    – Ein bisschen heiß.
    – Ja.
    Dann biegen wir auf die Straße ein, und Mutti gibt Gas. Gleichzeitig wählt sie über den Speeddial ihres Handys die Nummer ihrer besten Freundin Claudia. Das Headset trägt sie schon im
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