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Verirrte Herzen

Verirrte Herzen

Titel: Verirrte Herzen
Autoren: Julia Schoening
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haben konnte.
    »Gehen wir jetzt auch endlich?« quengelte Lilly.
    Anne gab nach, auch wenn es noch etwas zu früh war. »Na los, dann komm.« Sie zog ihrer Tochter, die vor Aufregung kaum stillstehen konnte, Schuhe und Jacke an.
    Gemütlich schlenderten sie durch die Straßen Richtung Kindergarten. Besser gesagt, Anne versuchte es, doch Lilly hüpfte aufgeregt um sie herum. Anne hatte Mühe, ihre Tochter im Auge zu behalten. Dieser kleine Wirbelwind hielt ihr ganzes Leben auf Trab, und doch konnte sie sich nichts Schöneres vorstellen. Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht.
    »Guck, da vorn ist dein Kindergarten«, sagte Anne mit einer um Begeisterung bemühten Stimme. Sie zeigte auf das Gebäude, das nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt lag.
    Jetzt gab es für Lilly kein Halten mehr. Sofort stürmte sie los.
    Die beiden Kindergärtnerinnen begrüßten Anne freundlich. Sie merkten sofort, dass Anne ihre Tochter nicht alleinlassen wollte. »Sie können gern noch ein wenig bleiben, bis die Kleine sich eingewöhnt hat. Für die meisten Kinder ist es am Anfang schwer, ihre Mütter gehen zu lassen«, sagte eine der beiden.
    Offensichtlich war das bei Lilly nicht der Fall. Schon nach wenigen Minuten fragte sie ihre Mutter: »Willst du nicht endlich nach Hause gehen?«
    Ein bisschen trauriger hätte Lilly ruhig sein können, dachte Anne. Um sie herum vergossen zahlreiche Kinder Tränen, als ihre Eltern sich unauffällig aus dem Staub machen wollten.
    »Bis später«, nahm Anne schweren Herzens Abschied. Immerhin schien sich Lilly wohlzufühlen. Das war doch auch wichtig.
    Für Anne war es ein schrecklicher Vormittag. Bereits als sie die Wohnungstür aufschloss, vermisste sie Lilly. Das Haus war so leer. Kein Lachen hallte ihr entgegen, kein fröhliches Gekreische kam aus Lillys Kinderzimmer. Diese unheimliche Stille beunruhigte sie.
    Die meiste Zeit lief sie planlos durch die Wohnung und versuchte sich mit Hausarbeit abzulenken. Sie scheuerte das Badezimmer, saugte die Böden und wischte Staub in allen Zimmern, und schon bald glänzte das Haus wie schon lange nicht mehr. Sie hätten vom Fußboden essen können, so sauber war es.
    Anne sah ungeduldig auf die Uhr.
    Das war unmöglich, nur zwei Stunden waren vergangen, seit sie Lilly zurückgelassen hatte. Es dauerte noch immer eine Ewigkeit, bis der Kindergarten zu Ende war.
    Anne seufzte. So konnte es in Zukunft auf keinen Fall weitergehen. Sie musste eine Beschäftigung finden für die Zeit, in der Lilly nicht bei ihr war. Spätestens am Ende der Woche würde in der Wohnung sonst eine sterile Atmosphäre wie im Operationssaal herrschen.
    Mit einer Tasse Kaffee und einem Buch machte sie es sich auf dem Sofa gemütlich. Sie überflog die Zeilen, konnte sich aber nicht auf den Inhalt konzentrieren. Ihre Finger trommelten nervös auf den Polstern. Es wollte ihr einfach nicht gelingen, die ungewohnte Einsamkeit zu verdrängen und erst recht nicht, ihre neue Freiheit zu genießen.
    Anne schaltete den Fernseher ein. Vielleicht würde sie das ablenken. Sie zappte durch die Programme und blieb bei einer Dokumentation über den Alltag in einer deutschen Rehabilitationsklinik hängen. Sie rückte sich ein Kissen im Rücken zurecht, um es sich bequemer zu machen.
    Aufmerksam verfolgte sie, wie ein Physiotherapeut gerade einen Schlaganfallpatienten behandelte.
    Ich muss wieder arbeiten, schoss es Anne so plötzlich durch den Kopf, dass sie wie vom Blitz getroffen mitten in der Bewegung innehielt. Wieso war sie denn nicht schon früher darauf gekommen?
    Anne war gelernte Physiotherapeutin, hatte aber kurz vor Lillys Geburt aufgehört zu arbeiten, um sich ausschließlich um ihre Tochter zu kümmern. Auch nach der Trennung von ihrem Ehemann Peter musste sie kein Geld verdienen. Ihr Ex-Mann zahlte gut und überwies jeden Monat pünktlich einen großzügigen Unterhalt für sie und seine Tochter auf Annes Konto. So kamen Anne und Lilly ohne Probleme über die Runden. Zwischendurch verdiente sie sich mit Massagen bei einigen Bekannten und einigen ihrer Freundinnen etwas dazu.
    Auch wenn es Anne nicht gefiel, dass sie finanziell so abhängig war, genoss sie ihr intensives Muttersein dennoch und konnte sich nicht vorstellen, Lilly alleinzulassen oder sie in einer Krippe betreuen zu lassen.
    Bis heute. Sie stellte plötzlich fest, dass ihr die Arbeit fehlte, und sie wusste mit einem Mal, dass sie dringend eine neue Aufgabe brauchte. Jetzt, da ihre Tochter sie nicht mehr rund um
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