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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target
Autoren: Nancy Kress
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der
Herumtreiberei beschuldigen. Niemand kann sich vorstellen, welche
Erfüllungen mir zuteil wurden.
     
    Auf das dritte Blatt Papier zeichnete er einen General mit
vorgestreckter Brust, dessen Uniformkappe ihm in geradezu abnormal
korrektem Winkel auf dem Kopf saß. Quer über die
Uniformjacke marschierte eine lange Reihe Ordensbändchen mit
Herzen und Messern und winzigen Betten darauf. Darüber schrieb
Cavanaugh: KAMPFABZEICHEN AUS DEM KRIEG ZWISCHEN DEN
GESCHLECHTERN.
    Er steckte jedes Blatt in einen eigenen Umschlag und adressierte
alle drei an Mrs. Marcia Cavanaugh in Washington. In seiner
Brieftasche fanden sich drei Marken. Er legte die Briefe auf den
Nachttisch neben das tote Mobiltelefon und seine Dienstwaffe, eine
Smith & Wesson.
    Seit fünf Jahren schickte er Marcy nun schon solche kleinen
Notizen – vom Tag ihres Kennenlernens an. Hunderte hatte er ihr
während des ersten Jahres allein gesandt. Nach der Hochzeit war
die Häufigkeit zwar zurückgegangen, doch unmittelbar
nachdem er seinen – verabscheuten – Job bei einer
Privatfirma aufgegeben hatte, um zum FBI überzuwechseln, war sie
wieder hochgeschnellt. Und dann wieder ein langsamer Abfall, zugleich
mit der Kälte, die nach und nach in ihre Ehe gekrochen war wie
ein Zeitlupenfrost, der irgendwie seiner eigenen Jahreszeit entkommen
war und sich nun im ganzen Kalender breitmachte.
    Dann hatte sie ihn verlassen, und Cavanaugh hatte aufgehört
mit dem Briefeschicken.
    »Ich will mehr als das, Robert«, hatte Marcy
erklärt.
    »Mehr was?«
    »Mehr alles! Mehr Reisen, mehr Lachen, mehr Menschen,
mehr Erlebnisse! Ein breiteres Leben!«
    »Vielleicht geht die Breite immer nur auf Kosten der
Tiefe«, hatte Cavanaugh bemerkt, bloß um Punkte zu sammeln
und ohne überhaupt zu wissen, was er damit sagen wollte.
    »Keine Sinnsprüche, Robert. Keine Wortspiele. Ich
möchte einfach über diese enge Welt hinaus – weiter,
als es mit dir je möglich sein würde.«
    So hatte Cavanaugh nach Monaten der Qual schließlich
erkannt, daß er um eines anderen Liebhabers wegen verlassen
worden war: um der großen weiten Welt wegen. Er wünschte,
er hätte Marcy gefragt, ob sie von dieser Welt Gegenliebe
erwartete – und auf welche Weise.
    Und nun sandte Cavanaugh wiederum Briefe. Zwei, drei Stück
jedesmal, ein paarmal pro Woche, wo immer er sich befand. Sogar vom
Justizministerium in Washington aus. Einst hatte sie seine Notizen
geliebt. Sie hatte gelacht und den Kopf geschüttelt: »Wer
würde diese Seite an dir erahnen, Robert?« Er erinnerte
sich an ihr Lachen. Jede Nacht erinnerte er sich an ihr Lachen.
    Er schaltete das Licht aus, zwang seine Gedanken, von Marcy
abzulassen und zu dem zurückzukehren, was Jeanne Cassidy nicht
gesagt hatte. Das Jefferson-Mädchen, das beim Auftritt hinfiel,
der Regisseur, der sie von der Bühne zerrte, und dann…
    Er ging es alles noch mal durch, und daraufhin ein zweitesmal,
immer auf der Suche nach etwas, das ihm entgangen sein könnte.
Etwas, das er an Garrison weiterleiten konnte. Aber er fand es
nicht.
    Bevor er einschlief, knipste er noch mal die Lampe an und hielt
die drei Umschläge gegen das Licht, bis er denjenigen fand, der
den bösen Seitenhieb über den Krieg zwischen den
Geschlechtern enthielt. Den zerriß er.
    Dann schaltete er das Licht wieder aus und legte sich zurück
aufs Kissen. Eine Minute später knipste er ein letztes Mal die
Lampe an, fischte die Papierschnitzel aus dem Abfallkorb und
löste vorsichtig die unbenutzte Briefmarke ab.

»Es
gibt nur vier Gründe auf der Welt, etwas zu tun«, sagte
Judy O’Brien Kozinski zu ihrem beinah nackten Ehemann.
»Weil man es will, weil man das Geld braucht, weil man sein Wort
gegeben hat oder weil man damit einem Menschen, den man liebt, eine
Freude machen will.«
    »Und welcher der ersten drei hat dich nach Las Vegas
gezogen?« schoß Ben zurück und hängte sein
Sportsakko in den Hotelschrank. »Denn daß du mir damit
eine Freude machen wolltest, das wird es wohl kaum sein.«
    »Eigentlich trifft genau das zu«, sagte Judy
gleichmütig. »Welchen Grund hätte ich wohl sonst, hier
zu sein?«
    Ben bedachte sie mit seinem Skeptischer-Wissenschaftler-Blick,
dessen Wirkung keineswegs durch den Umstand beeinträchtigt
wurde, daß er in seiner Unterwäsche dastand. Er hat eine
prachtvolle Figur, dachte Judy voll ohnmächtiger Verzweiflung.
Breite Schultern, schmale Taille, einen flachen Bauch. Mit
dreiundvierzig. Und sie, obwohl sie zehn Jahre jünger war, hatte
diese
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