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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target
Autoren: Nancy Kress
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›populärwissenschaftlichen
Printmedien‹, die er so gern ätzend ins Lächerliche
zog, Interviews. Judy, welche freie Mitarbeiterin ebendieser
populärwissenschaftlichen Printmedien war, hatte wochenlang am
Zustandekommen dieses Interviews gearbeitet, das sich mit den
jüngsten Horrormeldungen über die Bombentests in Nevada in
den 50ern beschäftigen sollte. Science Update zahlte
für ihre Reise nach Vegas: kein Interview – keine
Spesenvergütung.
    Ben sagte: »Na gut, dann wünsch mir wenigstens
Glück.«
    »Das wirst du nicht brauchen. Dea Nukleia hält die Hand
über dich.« Ein privater, alberner Scherz zwischen ihnen
beiden: Dea Nukleia, die Muse der Mikrobiologie. Zwölf Jahre
privater, alberner, süßer Scherze zwischen ihnen. Ben
beugte sich herunter, um sie zu küssen, und Judy, die reglos in
dem karierten Sessel kauerte, vermeinte, den Duft von Parfum an
seinem Jackett wahrzunehmen. Moschus, oder vielleicht Sandelholz
– sie selbst benutzte einen zarten Lilienduft. Dann richtete Ben
sich wieder auf, und sie redete sich ein, daß sie sich wohl
geirrt hatte, daß der Geruch vermutlich nur wieder einmal eine
unbegründete Einbildung gewesen war. Ihr Kopf fühlte sich
schwer an – das wohlbekannte Gefühl, als wäre das Hirn
in Watte gepackt. Was zur Folge hatte, daß sie einfach nicht
fähig war, sich bis zu logischen Schlüssen durchzudenken.
Das Gefühl schien nur dann wohlbekannt, wenn Ben sich in der
Nähe befand.
    Ben nahm seine Aufzeichnungen vom Tisch: »Hüllproteine
in retroviralen Vektoren: die Implikationen für die
Aktivität des Komplexes der
Histokompatibilitätsantigene.« Judy zwang sich zu einem
Lächeln. »Alles Gute, Ben.«
    »Danke, Liebes.«
    »Abendessen um sieben? In dem Hotelrestaurant im obersten
Stockwerk, wie heißt es gleich?«
    »So Dea Nukleia nicht anders entscheidet.«
    »Nur wir beide?«
    »Hab ich doch versprochen, oder?«
    »Bis dann.«
    »Bis dann, Liebes.«
    Die Tür schloß sich hinter ihm. Judy saß
fünf weitere Minuten in ihrem Sessel, ohne sich zu rühren.
Zehn Minuten. Dann schüttelte sie den Kopf. Dummheiten. Sie
hatte zu tun, und Grübeln half gar nichts. Sie griff nach dem
Telefon, um sich den 16-Uhr-Termin bestätigen zu lassen.
    Doch ihre Finger tippten die elf Ziffern für Troy, New York
ein. Es klingelte zweimal.
    »Hallo?«
    »Dad? Judy hier.«
    »Judy! Du bist’s! Mama und ich haben gerade von dir
gesprochen!«
    »Tatsächlich?«
    »Wir kamen vorhin von der Messe zurück. Hochwürden
beschäftigte sich in seiner Predigt mit Genesis 43,34: ›Und
man trug ihnen Speisen vor von seinem Tische. Aber dem Benjamin ward
fünfmal mehr als den andern; und sie tranken und waren
fröhlich mit ihm.‹ Da sagte ich zu deiner Mutter:
›Gott ist bei der Konferenz mit Judy und Ben.‹«
    Judy lachte. Ihr Vater konnte sie immer zum Lachen bringen –
weniger seines Witzes wegen, denn er war eigentlich kein besonders
lustiger Mensch, und sie glaubte ohnedies nicht mehr an die Bibel,
sondern einfach deshalb, weil er so war, wie er war:
zuverlässig, unerschütterlich, großzügig –
und da, wenn man ihn brauchte.
    »Also, was steht denn für heute an?« erkundigte
sich Dan O’Brien.
    »Interview mit James Ressman von Nellis. Betreffend den
Bericht der Gesundheitsbehörden über die radioaktiven
Niederschläge.«
    »Ich bin zutiefst beeindruckt«, sagte ihr Vater, und aus
seiner Stimme hörte sie, daß er es tatsächlich war.
Er unterrichtete Physik und Mathematik an der Kardinal John DiLesso
Highschool. »Frag ihn, warum Begleitjäger der Air Force
hoch subventioniert werden und der Naturwissenschaftsunterricht
nicht.«
    Judy lachte. »Mach ich. Und dann laß ich mich gleich
von dort rausbegleiten. Mit Jägern.«
    Sie plauderten noch ein Weilchen, und als Judy auflegte, hatte
ihre Stimmung sich wieder gehoben. Sie knöpfte sich den Blazer
zu, sah, wie der Leinenstoff sich an den Hüften und über
dem Bauch in Querfalten legte, und knöpfte ihn wieder auf. Mein
Gott, wenn sie bloß fünfundzwanzig oder dreißig
Pfund loswerden könnte! Aber Diät halten fiel ihr so
schwer; sie war immer hungrig.
    Sie drehte dem Spiegel den Rücken zu.
     
    Im Aufzug befand sich auch eine größere Gruppe
Konferenzteilnehmer, kenntlich durch die Namensschilder, die sie
trugen. Sie eilten alle am Saphir-Saal vorbei, wo Sid Leinsters
Vortrag über die Schädigung der Mitochondrien durch
Exzitotoxine stattfinden sollte. Judy warf einen kurzen Blick hinein.
Reihen von vergoldeten
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