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Vergossene Milch

Vergossene Milch

Titel: Vergossene Milch
Autoren: Chico Buarque
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entschlossen, sie an den Haaren nach Hause zu zerren, nackt wie sie war, um sie vor den Hotelportiers und den Betrunkenen auf der Avenida bloßzustellen. Mit einem Ruck riss ich das Laken herunter, in das sie sich gewickelt hatte, und erblickte die Frau des Arztes. Ich hatte fest damit gerechnet, Matilde zu entlarven, weshalb ich nur angewidert auf den wabbeligen Körper der Frau des Arztes blickte. Sie schlug die Hände vors Gesicht und heulte, und der Franzose beschimpfte mich als unkultivierten Wilden, als manisch und gestört. Ich wollte ihm scharf antworten, doch nicht einmal das hatte er verdient, dieser Kerl konnte sich nicht mit mir messen. Ein Großmaul, ein Aufschneider, ein Mann, dem Matilde sich fraglos nicht hingeben würde. Ein Kerl, der eine Frau mit schlaffen Brüsten missbrauchte, allein um des Vergnügens willen, seinen besten Freund zu verletzen. Das musste Matilde erfahren, ich wollte sie wecken, um ihr zu berichten, wie ich die beiden in flagranti erwischt hatte, aber sie war noch nicht zu Hause, als ich zurückkam. Also legte ich mich auf das Sofa, schloss die Augen und horchte auf das Meer, wie jede Nacht vorm Einschlafen. Wie Matilde und ich es im Morgengrauen nach unserer ersten Nacht getan hatten, nie zuvor hatte ich gegenüber vom Strand geschlafen. Und seitdem verband ich das eine mit dem anderen, Matildes Atemzüge lockten die Wellen, und sie antworteten mit ihrer Brandung. Eine Nacht ohne Matilde zu verbringen war mir so unvorstellbar wie ein plötzliches Verstummen sämtlicher Wellen. Doch dann hörte ich es laut knallen, als schlüge das Meer gegen meine Tür, und als ich die Augen aufschlug, wurde es schon Tag. Ich ging nach draußen, da war kein Strand mehr, das Wasser hatte den Sand überspült, und die Wellen brachen sich am Trottoir und hoben riesige Schaumkronen hoch. Sie machten einen solchen Lärm, dass ich kaum das lehmverdreckte Auto wahrnahm, das hupend vor meinem Haus hielt. Es war der Arzt, ich ließ ihn widerstrebend eintreten, denn es war keine Zeit, zu der man Besuche machte, egal, bei wem, und Probleme hatte ich schon selbst genug. Dann bat er mich auch noch um einen Drink, seine Augen waren blutunterlaufen, offensichtlich hatte er nicht geschlafen. Vermutlich war er wie ein Verrückter durch die Stadt gefahren, mir fehlte gerade noch, dass er glaubte, seine Frau sei bei mir. Aber nein, er war gekommen, um sich zu verabschieden und mir für meine Gastfreundschaft zu danken, denn er werde an diesem Morgen an Bord der
Lutetia
gehen. Und dann weiterreisen nach Konstantinopel, von wo Nachrichten über eine Typhusepidemie kamen. Im Übrigen ist Eva ganz wild darauf, den Vorderen Orient kennenzulernen, sagte er. Eva war von Venezuela begeistert gewesen, Guatemala hatte Eva geliebt, Eva schwärmte von Paraguay, er sagte ständig, wenn es nach Eva gegangen wäre, hätten sie sich in jedem beliebigen Kaff dort niederlassen können. Er trank einen Schluck Cognac und sagte, Eva wird Brasilien sehr nachtrauern. Er entschuldigte sich, dass er so in Eile sei, aber mehrere unvorhergesehene Ereignisse hätten seine frühere Abreise erforderlich gemacht, und in dieser Nacht habe er sich auf miserablen Straßen im Landesinnern verspätet. Dubosc würde einen verdreckten Citroën ohne Stoßdämpfer bekommen, sagte er mit schiefem Lächeln, aber bei den schäbigen fünfzigtausend
Réis,
die er auf den Tisch gelegt habe, könne er sich nicht beklagen. Der Arzt sah auf seine Uhr, tat, als wolle er gehen, ging aber nicht, anscheinend beschäftigte ihn ein unangenehmes Thema. Ich glaube, er wusste genau, mit wem seine Frau ins Bett ging, so wie er es bestimmt auch in Panama, in Französisch-Guyana und was weiß ich wo noch gewusst hat, so wie er es in der Türkei wissen würde und anderswo. Er zog durch die Welt, als schleppte er eine Frau mit sich, die an einer unheilbaren Krankheit litt, aber mit mir hatte sein Leben nichts zu tun. Mir wäre es zuwider gewesen, wenn er mich zu seinem Vertrauten gemacht hätte, wenn er mir in die Augen gesehen und angefangen hätte, sein Elend vor mir auszubreiten, so etwas kann ich nicht leiden. Doch im selben Augenblick, als Eulalinha oben zu schreien anfing, kippte er den restlichen Cognac, sah mich an und sagte, er sei zuversichtlich, dass Matilde sich ohne größere Spätfolgen erholen würde. Er habe sie gerade in ein Sanatorium in den Bergen gebracht, wo trockeneres Klima herrsche und wo sich Kollegen vom Gesundheitsdienst speziell um sie kümmern
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