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Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Don Winslow
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Jake brutal in ihre Sitze gepresst werden.
    Diana wird um ein Haar ohnmächtig, versucht aber verzweifelt, für Jake bei Bewusstsein zu bleiben. Sie fällt auf ihn, als das Flugzeug nach links gerissen wird, die Triebwerke auf dieser Seite verbrennen den Treibstoff aus dem Tragflächentank.
    Die Gepäckfächer springen auf.
    Taschen und Koffer purzeln heraus.
    Als der rechte Tragflächentank leer ist und die Maschine zur anderen Seite geworfen wird, fällt Jake auf Diana.
    Plötzlich ohne Treibstoff stottern die Motoren und gehen aus.
    In weniger als einer Sekunde sinkt die Geschwindigkeit von dreihundert auf hundert Knoten.
    Der abrupte Beschleunigungsstopp führt zur »inneren Enthauptung« vieler erwachsener Passagiere. Das Genick bricht, der Kopf ist nur noch durch die Haut mit dem Körper verbunden. Die Kinder sind widerstandsfähiger, und viele leben noch, als die Nase des Flugzeugs vornüberkippt und nun auch der vordere Teil zum Sturzflug ansetzt, Spiralen drehend vom Himmel kracht.
    Obwohl er weiß, dass die Verbindung wahrscheinlich tot ist, schreit Martin Peterson in sein Funkgerät: » Eagle Two-One-One, heavy ! 416 Menschen an Bord!«
    Der Co-Pilot ist tot – sein Genick ist gebrochen, die leblosen Augen treten hervor.
    Peterson reißt den Steuerknüppel zurück, aber die Handsteuerung reagiert nicht, und das Flugzeug verliert mit der fünffachen Geschwindigkeit eines normalen Sinkflugs an Höhe. Er sieht den Boden auf sich zuwirbeln. Schnell, so schnell, und er kann nichts tun, um den Fall abzubremsen. Er kann nur noch seine letzte Pflicht erfüllen, und deshalb schreit er in der Hoffnung, dass die Black Box es aufzeichnet: » Eagle Two-One-One ! 416 Menschen an Bord! Kein Antrieb, unkontrollierbarer Sturzflug, eine Explosion! Vater, der du bist im Himmel …«
    Diana presst Jakes Gesicht an ihre Schulter.
    Sitze schießen hinten raus, die meisten darin angeschnallten Passagiere sind längst tot. Mäntel, Mützen und Stofftiere fliegen durch die Kabine wie in einem Wirbelsturm. Kaffeebecher, Tassen und Gläser werden zu tödlichen Geschossen. Der Getränkewagen löst sich und rast durch die Kabine, zertrümmert Köpfe und bricht Menschen das Genick. Die Füße der noch Lebenden werden so fest in den Boden gedrückt, dass die Knochen splittern.
    Trotz der Schmerzen, des Schwindels, der g -Kraft, die ihr beinahe das Bewusstsein raubt, trotz des entsetzlichen Lärms – der Schreie, des Angstgebrülls, des kreischenden Metalls –, trotz ihrer eigenen Todesangst, hält Diana Jake umklammert und denkt an Dave.
    An sie alle drei zusammen.
    An den Moment, als Jake geboren wurde und Dave seinen Sohn in den Armen hielt und ihn ihr wieder auf die Brust legte. Dave war von der Reise so müde, dass er zu ihnen beiden in das Krankenhausbett kroch, und sie alle drei einschliefen. Daran denkt sie und sie betet: »Lieber Gott, lass unser Kind überleben. Lieber Gott, lass unser Kind überleben.«
    Ein Koffer wird durch die Luft ins Freie geschleudert, knallt Diana gegen die Schulter, aber sie hält Jake fest.
    »Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich«, singt sie.
    Es sind die letzten Worte, die Diana von sich gibt – die letzten Worte, die Jake hört – dann werden beide ohnmächtig.
    Ein Segen.
    Nur vierzig Sekunden nach der ersten Explosion reißen die Treibstoffschläuche in der linken Tragfäche ab, verspritzen ungenutzten Treibstoff und verwandeln die Maschine in einen Feuerball.
    Ein brennender Engel stürzt auf die Erde.


    Theresa Moldano befindet sich in Borough Park, Brooklyn auf der Überführung über den Highway 278.
    Der Bus der Linie BM-2, den sie an jedem Werktag nimmt und in dem sie auch heute wieder sitzt, steckt im Stau vor dem Brooklyn Battery Tunnel. Theresa wippt nervös mit dem Fuß und starrt durchs Fenster auf die Fahrzeugschlangen.
    Sie wird zu spät kommen – schon wieder –, und ihr Chef im Deli wird sauer sein.
    Theresa braucht den Job. Sie ist erst neunzehn, aber schon alleinerziehende Mutter, muss Miete und die Tagesmutter bezahlen und ständig neue Sachen für ihre achtzehn Monate alte Tochter kaufen. Ihr Chef Tony mag sie – ganz besonders ihr langes, glänzendes schwarzes Haar, ihre strahlenden, braunen Augen und ihren Kugelarsch, genau wie der von J-Lo –, aber sie will ihn nicht ranlassen, und deshalb ist ihr Job akut gefährdet. Theresa kramt ihr Handy aus der Tasche und ruft im Laden an.
    »Tony«, sagt sie, bevor er eine Chance hat, sie anzuschreien, »ich
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