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Verfuehrung unterm Silbermond

Verfuehrung unterm Silbermond

Titel: Verfuehrung unterm Silbermond
Autoren: Sharon Kendrick
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sein durfte, aber sie hatte ihn auch noch nie so unausgeglichen gesehen.
    „Ist nicht wichtig“, erwiderte er abweisend.
    „Aber irgendetwas stimmt doch nicht, Raffaele“, hakte sie noch einmal nach, obwohl sie schon viel zu weit gegangen war.
    Für eine Sekunde verspürte er tatsächlich das unerklärliche Bedürfnis, sich ihr anzuvertrauen, doch dann verzog er hochmütig den Mund – eine Geste, die er Natasha gegenüber nur sehr selten zeigte. „Es steht dir nicht zu, mir eine solche Frage zu stellen“, erwiderte er kühl. „Das weißt du.“
    Ja, das wusste sie, und fast immer nahm sie es widerspruchslos hin. So wie sie viele Dinge in seinem Leben kommentarlos akzeptierte. Die Frauen, zum Beispiel, die manchmal das Bett mit ihm teilten. Meist kamen sie morgens mit wirren Haaren und rosigen Wangen in die Küche und baten um Frühstück, lange, nachdem Raffaele in die Stadt gefahren war. Doch das war schon länger nicht mehr vorgekommen. War es das, was ihn aufrieb? Ging ihm dieses Mal etwa eine Frau unter die Haut? Hatte er sich ernsthaft verliebt? Dann könnte er es ihr auch jetzt sagen, weil sie sich dann gegen den Schmerz wappnen konnte. Gegen die immer präsente Angst, dass es dieses Mal vielleicht von Dauer sein könnte.
    Doch es gab noch einen anderen Grund, der Raffaeles perfektes Leben aus dem Gleichgewicht gebracht haben konnte. Er hatte eine wunderschöne Halbschwester, die wesentlich jünger war als er. War er möglicherweise ihretwegen nach Italien geflogen?
    Sie räusperte sich. „Ist mit Elisabetta alles in Ordnung?“
    Raffaele hielt mitten in der Bewegung inne, die Kaffeetasse nah bei den Lippen. Ohne zu trinken setzte er die Tasse langsam ab. „Wieso fragst du ausgerechnet nach meiner Schwester?“, fragte er gefährlich leise.
    Weil sie in deinem reibungslosen Leben der einzige Mensch zu sein scheint, der dir Sorgen bereitet, lag es ihr auf den Lippen. Aber das konnte sie ihm nicht sagen. Damit würde sie tatsächlich die Grenzen ihrer Zuständigkeiten übertreten. Also zuckte sie nur mit den Schultern. Doch sie erinnerte sich an den dringenden Anruf vor ein paar Wochen von Elisabettas Psychiater. Danach hatte Raffaele in seinem Arbeitszimmer gesessen, bis die Dunkelheit hereingebrochen war.
    „Nur eine Vermutung“, sagte sie knapp.
    „Spare dir deine Vermutungen!“, brauste er auf. „Für Vermutungen wirst du nicht bezahlt!“
    Natasha starrte ihn mit großen Augen an. Seine harschen Worte hatten sie tief verletzt. „Nein, natürlich nicht. Ich hätte nichts sagen sollen. Entschuldige.“
    Raffaele sah das leichte Beben ihrer Lippen, auch wenn sie es zu verbergen versuchte. Mit einem Seufzer lenkte er ein. „Ich bin derjenige, der sich entschuldigen muss, cara . Ich dürfte nicht in diesem Ton mit dir reden.“
    Doch er hatte so mit ihr gesprochen. Und vielleicht würde er auch wieder in diesem Ton mit ihr sprechen. Konnte sie das ertragen? Natasha streckte den Rücken durch, als sie eine ungute Ahnung überkam.
    Hieß es nicht, dass mit der vertrauten Gewohnheit auch die Nachlässigkeit kam? Meinte er deshalb, ihr gegenüber diesen Ton anschlagen zu können, und sie würde es sich stumm gefallen lassen? Sicher, manchmal nannte er sie cara , aber das war eher eine Floskel. Ganz sicher meinte er nicht „Liebling“ im romantischen Sinne.
    Verschloss sie absichtlich die Augen vor der Tatsache, dass ihr Arbeitsverhältnis allmählich komplizierter wurde? Wollte sie warten, bis es so unerträglich war, dass ihr nichts anderes blieb, als zu gehen?
    „Ich sollte besser mit meiner Arbeit weitermachen“, sagte Natasha steif. „Ich wollte noch einen Kuchen backen. Sam bringt einen Freund zum Tee mit nach Hause.“ Damit wandte sie sich zum Gehen, bevor Raffaele die stummen Tränen sehen konnte, die ihr plötzlich in den Augen brannten.
    Raffaele sah ihren übertrieben geraden Rücken, und jäh wurde ihm klar, dass er sie verletzt hatte. Was immer auch passiert sein mochte, das hatte Natasha nicht verdient. Vielleicht sollte er tatsächlich mit einem anderen Menschen darüber reden als nur mit seinem Anwalt. Troy sah immer alles nur schwarz und weiß. Dafür wurde er schließlich bezahlt – um die praktischen Gegebenheiten auszuloten und nicht, um Gefühle zu interpretieren.
    Doch selbst ein Mann, der sein Leben lang vor seinen Gefühlen davongelaufen war, hatte manchmal keine andere Wahl, als sich eben diesen Gefühlen zu stellen. So wie jetzt. Und Natasha war eine Frau.
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