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Verflucht sei Dostojewski

Verflucht sei Dostojewski

Titel: Verflucht sei Dostojewski
Autoren: Atiq Rahimi
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muss drei Kinder ernähren.«
    Wortlos zieht Rassul den Fünfzig-Afghani-Schein heraus und gibt ihn der Frau, die sich ihm vor die Füße wirft. »Danke, mein Bruder … Allah beschütze dich!«
    Der Klagen der Alten überdrüssig, aber mit Stolz in der Seele, geht er davon.
    Was für eine Geste! Als wäre es so einfach, dich reinzuwaschen.
    Nein, ich will mich ja gar nicht reinwaschen.
    Warum dann dieser wohltätige Akt? Du willst doch wohl nicht behaupten, es sei aus Mitleid geschehen? Das nimmt dir keiner ab. Das hast du nur getan, um dich zu überzeugen, dass du trotz allem einen guten Kern besitzt. Auch wenn du fähig bist, eine unselige Kreatur zu töten, lässt du eine arme Familie nicht verhungern. Was zählt, ist deine Absicht; dass …
    Ja! Und genau das zählt für mich: meine …
    Sein Fuß stolpert über einen großen Stein. Er verzieht vor Schmerz das Gesicht. Einen Augenblick hält er inne. Nicht nur mit dem Gehen, sondern auch damit, Raskolnikows Worte wiederzukäuen. Gott (oder Stein) sei Dank!
    Der Weg bis nach Hause ist nicht weit. Langsam, behutsam kommt er voran.
    Als er vor der Tür steht, wartet er eine Weile und überprüft noch einmal – so gut das Dämmerlicht es zulässt –, ob er Blutflecken an sich hat. Immer noch derselbe Fleck, von dem er nicht mit Sicherheit sagen kann, ob es die Spur seines Verbrechens oder das Zeichen seiner Tugend ist.
    Er holt tief Luft, bevor er in den Hof tritt und die fröhlichen Schreie der beiden Töchter des Hausbesitzers hört, die mit einem Seil am Ast des einzigen, toten Baumes schaukeln. Leise schleicht Rassul die Treppe hinauf, die zu seiner kleinen Kammer am anderen Ende des Hofs führt. Als er die letzte Stufe erreicht, ertönt der Ruf der Kleinen: »Salam, kaka Rassul!«
    Bevor er die Tür öffnen kann, hindert ihn eine zweite Stimme, rau und drohend, ins Innere zu huschen. »He, Rassul, wie lange glaubst du dich noch aus der Affäre ziehen zu können?« Yarmohamad, der Eigentümer. Rassul dreht sich zu ihm um, innerlich dessen Töchter verfluchend. Mit einer Gebetsmütze auf dem Kopf steht Yarmohamad am Fenster: »Und, wo bleibt die Miete? He?«
    Verärgert steigt Rassul die Treppe mühsam wieder hinunter und stellt sich unter das Fenster, um zu sagen, dass er heute, wie gestern versprochen, sein Geld holen gegangen sei, aber dass es nicht geklappt habe. Die Frau, die es ihm schulde, sei nicht da gewesen. Er habe den ganzen Tag nach ihr gesucht. Aber …
    Aber er fühlt eine eigenartige Leere in der Kehle. Kein Laut dringt heraus. Er hustet. Ein leerer Husten. Trocken. Tonlos. Materielos. Er atmet tief ein, hustet abermals. Wieder nichts. Beunruhigt versucht er, einen Schrei herauszubringen, einen einzigen Schrei, irgendetwas. Und noch immer bringt er nichts zuwege als ein ersticktes, lächerliches Hauchen.
    Was ist los mit mir?
    »Na?«, fragt Yarmohamad ungeduldig.
    So warte doch! Irgendetwas Schlimmes geht vor sich. Rassul hat keine Stimme mehr.
    Wieder versucht er, tief Luft zu holen, seine Kräfte in der Brust zu sammeln und die Wörter auf die Lippen zu befördern. Vergeblich. »Hast du diese Person gefunden, die dir Geld schuldet?«, ruft Yarmohamad in spöttischem Ton. »Dann sag mir ihren Namen! Und morgen hast du deine Knete. Los, sag mir ihren Namen …« Wenn du wüsstest, Yarmohamad, du würdest dich nicht trauen, in diesem Ton mit Rassul zu reden. Er hat sie umgebracht. Und dich wird er genauso umbringen, wenn du ihm Ärger machst. Sieh doch das ganze Blut an ihm!
    Rassul fährt mit der Hand über sein blutbeflecktes Hemd; Yarmohamad verstummt, verkriecht sich ängstlich ins Zimmer und brummt vor sich hin: »Dummes Zeug! Immer dieselben Lügenmärchen …« Lass ihn schimpfen, Rassul. Du kennst die Fortsetzung: Er wird sich wieder ans Fenster stellen und dir noch einmal unter die Nase reiben, wenn er dich zwei Jahre lang ausgehalten habe, dann nur aus Respekt für deinen Cousin Razmodin; dass er dich ohne diese Freundschaft schon längst vor die Tür gesetzt hätte; dass jetzt Schluss sei damit, dass ihr für ihn nicht mehr zählt, weder du noch dein Cousin usw.
    Stell dich taub und geh auf dein Zimmer. Schau auch nicht, ob Rona, seine Frau, da ist oder nicht.
    Natürlich ist sie da, hinter einem anderen Fenster. Sie betrachtet Rassul mit bekümmertem Ausdruck, als wollte sie nach Entschuldigungen suchen. Sie mag ihn. Er, Rassul, misstraut der Sache. Nicht, dass sie ihm missfallen würde. Er denkt oft an sie, wenn er
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