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Verflucht himmlisch

Verflucht himmlisch

Titel: Verflucht himmlisch
Autoren: Bettina Belitz
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nur ins Restaurant gucken. Guiseppes Mutter war fest davon überzeugt, dass die Pizzeria Lombardi mehr Gäste gehabt hätte, wenn diese beim Essen nicht auf einen Leichenwagen hätten starren müssen. Zu viel Tod verderbe den Appetit, meinte sie.
    »Du bist verrückt«, sagte Guiseppe, als wir sein Zuhause erreicht hatten. »Echt verrückt.«
    »Kann sein«, erwiderte ich achselzuckend. »Ich mache es trotzdem. Schaust du zu?«
    »Klar.« Er grinste schief. »Irgendwer muss dich ja auffangen, wenn du abstürzt.«
    »Ich stürze nicht ab.«
    »Werden wir sehen.« Seppo boxte mich kurz in die Seite und verschwand in der Pizzeria.
    »Ja, genau, das werden wir«, flüsterte ich.
    Er wollte mich auffangen. Natürlich würde ich nicht abstürzen, ganz bestimmt nicht. Aber wenn, würde er mich auffangen.

Der Abend davor
    »Hatschi!«, nieste ich laut. Die Suppe vor mir kräuselte sich.
    »Prost Mahlzeit«, knurrte Mama und reichte mir ein zartrosa Taschentuch. »Erkältet?«
    »Kann nicht sein«, antwortete ich matt. Und es durfte vor allem nicht sein. Wieso bekam ich ausgerechnet jetzt eine Erkältung? Ich hatte mich dick angezogen, wie immer für das Training im Herbst und Winter. Ich hatte mich vorher genügend aufgewärmt und gleichzeitig darauf geachtet, nicht zu viel zu schwitzen. Denn das war schlecht für die Beweglichkeit. Aber seitdem ich beschlossen hatte, dass ich den Herbstrun machen würde, musste ich niesen und mein Hals kratzte. Egal. Rennen und springen konnte ich auch mit verstopfter Nase. Und Fieber bekam ich sowieso fast nie.
    »Was habt ihr denn getrieben da draußen?«, fragte Mama weiter. Wie jeden Abend. Und jeden Abend erfand ich etwas. Mama und Papa wussten nicht, dass ich Parkour machte. Sie fanden es bedenklich genug, dass ich mich nie mit Mädchen traf und stattdessen mit »diesen« Jungs zusammen war. Aber weil wir jeden Freitagabend bei Lombardis Pizza bestellten (für mich mit extrascharfer Peperonisalami, für Papa mit Pilzen, für Mama mit Meeresfrüchten), jedes Jahr im Restaurant Silvester feierten und Guiseppe ein anständiger Junge war (dachten sie), hatten sie nichts dagegen, solange er dabei war. Er war schließlich der Nachbarssohn.
    Auch Seppos Eltern wussten nicht, dass er ein Traceur war. Wir machten das alle vier heimlich und trafen uns deshalb etwas abseits des Hemshofs im Friedenspark. Das würde so lange gut gehen, bis uns doch mal jemand sah. So wie ich eines Nachmittags Guiseppe gesehen hatte, als er über die Halfpipe gesprungen und ohne Stopp die Wand des Toilettenhäuschens hochgeklettert war. Nein, klettern konnte man das nicht nennen. Es war eher ein Schlängeln. Dann Salto rückwärts, Stand. Ohne zu wanken.
    In diesem Moment wusste ich, dass ich das auch tun wollte, und nervte Guiseppe so lange, bis er einwilligte, mich zu trainieren. Vielleicht willigte er nur ein, weil ich gedroht hatte, seiner Mutter zu erzählen, was er da so trieb. Das war mir aber egal. Hauptsache, ich würde in seine Parkour-Gruppe aufgenommen werden. Jetzt trainierten wir seit anderthalb Jahren zusammen, Serdan, Billy, Seppo und ich, und daran würde sich auch in Zukunft nichts ändern. Wir mussten eben vorsichtig sein.
    Mein Run morgen in der Schule würde klappen. Zwei waren nicht glücklich ausgegangen – der dritte musste gut laufen. Die Pausenüberdachung reizte mich schon lange. Jeden Morgen saß ich auf meinem Platz neben dem Fenster, schaute raus auf dieses Dach und stellte mir vor, wie es sich anfühlen würde, aufs Fensterbrett zu steigen, die Scheiben aufzustoßen, in die Knie zu gehen und …
    »Luzie, ich habe dich etwas gefragt.«
    Ach, Mama war ja auch noch da. Und die Suppe. Ich schlürfte die letzten drei Löffel, putzte mir meine laufende Nase und nuschelte: »Rumgehangen. Hatschi!«
    Rumgehangen war nicht ganz verkehrt. Wir hängten uns vor jedem Training an die Reckstangen auf dem Kinderspielplatz des Parks und machten Klimmzüge, um unsere Armmuskeln zu stärken.
    »Du gehörst in die Koje, junge Dame«, sagte Mama streng. Sie scheuchte mich von meinem Platz und schob mich über den schmalen Flur rüber in mein Zimmer.
    »Mama!«, rief ich protestierend, als ich mein Bett erblickte. »Nicht schon wieder!«
    Über der rosafarben bezogenen Matratze prangten eine rosa-weiß gestreifte Decke und ein rosa-weiß gestreiftes Kissen. Ich fand es schauderhaft.
    »Es ist hübsch«, sagte Mama spitz. »Rosa ist hübsch.«
    Ja, das war wieder einer dieser Momente, in denen ich mich
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