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Verbotene Gefuehle

Verbotene Gefuehle

Titel: Verbotene Gefuehle
Autoren: Doris Loesel
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ich etwas sagen muss, machen alle Platz. Vermutlich ist mein entschlossener Ausdruck in diesem Fall aussagekräftiger, als jedes Wort.
Phil unterbricht wie auf Kommando sein Telefongespräch und kniet sich in Sichtweite.
Er sitzt sozusagen in der ersten Reihe!
Alle Männer, die eben noch Erste-Hilfe-Maßnahmen an Vic durchgeführt haben, rutschen zur Seite, als ich mich Stück für Stück an Vics Körper nach unten schiebe.
Meine Beine sind noch immer taub, aber das ist mir scheißegal.
Alle um mich herum sehen aus, als setzten sie Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten. Fähigkeiten, denen ich ganz und gar nicht traue. Wie denn auch?
Weiß ich doch nicht einmal, ob es tatsächlich eine meiner Fähigkeiten, Gaben, was auch immer, ist, oder purer Zufall?
Möglich wäre doch auch, dass Selena ganz besonders gutes Heilfleisch hat. Oder wissen Phil und die anderen etwas, was ich nicht weiß? Verdammt Vic, wo hast du mich hier bloß reingeritten? Aber jetzt ist es eh zu spät, um diese Dinge zu diskutieren. Mein Bruder wird sterben, wenn ich nichts unternehme … worin diese Unternehmung auch immer bestehen mag.
Bei Selena habe ich nur über die Kratzer gestreichelt.
Vics Verletzung ist nicht nur ein Kratzer. Es ist eine tödliche Schussverletzung. Mit Handauflegen komm ich hier bestimmt nicht weit. Himmel! Hilf mir doch jemand! Wenn ich allerdings auf Hilfe von oben warten will, ist Vic in weniger als fünf Minuten genau dort … im Himmel!!!
Entschlossen verdränge ich alle unnützen Gedanken aus meinem Kopf.
Dieses Problem ist ganz sicher nicht mit Logik zu lösen.
Also mache ich meinen Kopf frei … und handle rein intuitiv. Nur Kay und Renee bleiben wo sie sind. Renee hält Vics Kopf noch immer in seinem Schoß, streicht seinem Zwilling die feuchten Locken aus der schweißnassen Stirn.
Kay unterstützt mich alleine dadurch, dass er nicht weggeht.
Und dann spüre ich es ...
Meine Finger zittern, doch es ist nicht etwa Furcht, die das Zittern auslöst.
Es ist das Kribbeln, das ich schon bei Selenas Wange verspürt habe. Nur dass dieses Kribbeln jetzt tausendmal stärker ist. Es ist so heftig, dass meine Finger ausschlagen wie eine Wünschelrute, je näher ich der Schussverletzung in Vics Leistengegend komme. Vermutlich sehe ich aus, als ob ich einen epileptischen Anfall habe. Vielleicht ist es ja auch genau das ?
Eine brennende Hitze strömt durch meine Finger, bündelt sich an den Kuppen. Scheiße, tut das weh! Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was ich hier tue, aber ich tue es mit größter Konzentration.
„Bereit?“, formen meine Lippen tonlos.
„Nun mach … schon!“
Das schiefe, missglückte Lächeln, das Vic mir schenkt, gibt mir den Rest. Lieber Gott, mach, dass ich das hier hinkriege! Ich könnte es nicht ertragen, wenn ich ihn verliere. Ohne noch länger nachzudenken, presse ich meine glühenden Fingerspitzen auf die Leiste meines Bruders.
Ich fasse es nicht, was ich sehe. Die Blutung stoppt augenblicklich. Ich kann regelrecht dabei zusehen, wie das Blut aufhört, zu pulsieren.
„Scheiße, Mann, ist das … heiß!“, flucht Vic lautlos.
Noch immer bewegen sich meine Finger wie von selbst über Vics Schusswunde. Selbst wenn ich wollte … ich bin nicht in der Lage, meine Hand zu entfernen.
Meine Finger gehorchen mir nicht; haben ein Eigenleben entwickelt, das ich nicht steuern kann.
Tatsächlich ist es so, dass nicht nur meine Finger machen, was sie wollen. Auch meine anderen Sinne haben sich verabschiedet:
Ich kann weder hören, was um mich herum passiert, noch sehe ich irgendetwas.
Zum Reden bin ich sowieso viel zu angespannt, aber ich bin mir beinahe sicher, dass ich auch das nicht auf die Reihe kriege, wenn ich es versuche.
Dafür bin ich umso dankbarer, dass ich den Geruch des Blutes nicht wahrnehmen kann.
Keine Ahnung, wie lange ich in diesem Zustand verharre … und dann …
Als ob eine riesige Kaugummiblase zerplatzt, ist plötzlich alles wieder da.
Die Geräuschkulisse um mich herum beinhaltet die seltsamsten Dinge: Schmerzensschreie, Verwunderungsausrufe, Sirenengeheul, verhaltene Freude, Weinen …
„Kim?“
Kays angespannte Stimme dringt zu mir. „Baby, geht’s dir gut?“ Was soll denn diese Frage jetzt? Wie es mir geht ist doch wohl zweitrangig. Ich sehe zu Vic, der noch immer vor mir liegt. Sein Gesicht hat etwas mehr Farbe, oder bilde ich mir das nur ein?
Langsam nehme ich meine Hand von seiner Leiste. Das schmatzende Geräusch lässt mich würgen.
Meine Finger sind blutverschmiert
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