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Venus

Venus

Titel: Venus
Autoren: Elke Buschheuer
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schwankend. »In welcher Stadt?«
    Er sieht sie alarmiert an.
    »New York«, sagt er, »New York City.« Im nächsten Moment hechtet er sich auf den Boden. »Sieht denn das keiner? Muss ich denn alles alleine machen?« Er nimmt den Zipfel seiner Toga und reibt, das ganze bärtige Männchen rutscht dabei vor und zurück. Der Stein des Anstoßes ist ein Milchfleck, der aber offenbar schon angetrocknet ist. Unsere Venus sieht taktvoll weg. Wir auch, wir sehen uns um, denn wir haben noch nie einen Tempel gesehen, der gleichzeitig eine Kirche, eine Synagoge und eine Moschee ist. Ein skurriles Sammelsurium, verkitscht, ungeordnet, symbolüberfrachtet, ein kleines Irrenhaus inmitten eines großen, inmitten eines ganz großen.
    Unser Blick richtet sich auf den Mönch, der unsere Venus gefunden hat, der ein freundliches langes Gesicht hat, einen knarzigen kahlen Kopf, ein herrisches Kinn. Sein oranger, fast bodenlanger Kittel wird von einem Strick zusammengehalten wie eine Mönchskutte. Ein strammer Bauch hängt über diesen Strick, und auch seine Hände fallen uns auf, die wie Flöße sind, wie Bärentatzen, wie Bratpfannen. Wir sehen am Ausdruck seiner Augen unter buschigen Augenbrauen, dass er die meisten Dummheiten schon hinter sich hat,er ist gezähmt worden, nun zähmt er andere, indem er Ruhe ausstrahlt, ausgleichende Ruhe, er macht sogar uns ruhig, die wir doch ganz aufgeregt sind von den Ereignissen des Tages. Wie muss es erst unserer amnesierten Venus gehen in ihrem kargen Gästebett in ihrem kargen Zimmerchen, in dem sie nun liegt, die milch-weißen dünnen Beinchen angehockt, die Füße in Mullverbänden, das rote Kleid wie eine voll erblühte Tulpe um die schmalen Hüften geplustert, verloren wirkt sie, so ohne jeden Bezug zum Upper-East-Side-Ambiente.
    Ihre Augenlider flackern. Es ist Abend oder später Nachmittag. Sie ist immer noch in ihrem goldbrokatenen Albtraum eingesperrt. Sie versucht, sich zu erinnern, an das, was war. Wir sehen sie in ihrem Gedächtnis nach irgendwas suchen, tasten, aber sie denkt gegen eine Mauer. Denn hier haben wir zugegebenermaßen bereits die Hände im Spiel. Sie rüttelt an der Mauer, die wir Stein für Stein um ihre Lebenserinnerung errichtet haben und die so lange stehen bleiben wird, wie wir es wollen. Von nun an werden alle in unserer Sommergeschichte handelnden Figuren unsere Spielzeuge sein, zu unserer Erbauung und auf eigene Gefahr.
    Kurz schwanken wir, dann fällt dem Orangen Riesen die männliche Hauptrolle in unserer Sommergeschichte zu. Toga wäre auch infrage gekommen, aber immerhin war es der Riese, der sie auf der Straße fand und herbrachte, nicht der Zwerg. Der Riese wird es auch sein, der sie in Empfang nimmt, wenn sie aufwacht. Er wird ihr Ärgernis sein und später ihr Lehrer und später ihr Mensch. Wir nennen ihn Bliss Swami. Er ist unserArchetyp des keuschen Mönchs, sie die ätherische Versuchung. So schreiben wir mit literarischen Gaumenfreuden am Drehbuch, während unsere Heroine traumlos schläft.
    »Willkommen«, sagt lächelnd der Bliss Swami in freundlichem, langsamem Bariton, als Venus verschlafen aus dem Zimmer tritt. »Möchtest du etwas essen?«
    Der Bliss Swami spricht so langsam, dass sie gern an seiner Kurbel drehen würde. Sie mustert ihn hochmütig. Sie ist ungeduldig. Sie ist verwöhnt. Offenbar entspricht der Mann nicht im Geringsten ihren Vorstellungen. Hätte mich nicht jemand anders finden können, denkt sie.
    Wir haben dir Angebote entgegengeschickt, möchten wir einwenden, einen Polizisten, einen Feuerwehrmann, einen Soldaten, einen Bodybuilder, einen Skilehrer, starke, potente Männer, wir haben auch Sensible geschickt, einen Akademiker, einen Dichter, einen Studenten, aber sie hört uns ja nicht, außerdem ist in unserer Sommergeschichte kein Platz für Rechtfertigung.
    Venus wirft einen pikierten Blick in den Topf. Das ist ja ekelhaft, denkt sie.
    Wüsste sie von uns, sie würde uns zürnen, da wir im Begriff sind, sie zum Klischee zu machen, aber wir haben Klischees zu schätzen gelernt, sie treffen zu, nichts unterhält uns besser.
    »Salat hätte ich gern, Rucola, aber ohne Dressing, nur etwas frisch gepressten Zitronensaft, aber auf einem Extra-Teller«, sagt Venus knapp. Die Art, wie sie die Lippen kräuselt, lässt uns vermuten, dass sie normalerweise bekommt, was sie will. »Und einen Espresso.«
    »Ähm … tut mir Leid«, sagt der Bliss Swami, den es offenbar nicht kränkt, wie ein Kellner behandelt zu werden. Er öffnet
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