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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland
Autoren: Robert Harris
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den Staat«. Sie hatte ihre Ohren in jeder Fabrik und jeder Schule, in jedem Krankenhaus und jeder Kirche; in jeder Stadt, in jedem Dorf, in jeder Straße. Eine Leiche in einem See würde die Sipo lediglich dann beschäftigen, wenn es sich um einen Terroristen oder einen Verräter handelte. Und irgendwo zwischen den beiden anderen und in beide übergehend war die Kripo - Abteilung V des Reichssicherheitshauptamtes. Sie untersuchte alle offenkundigen Verbrechen, vom Ei n bruch über Bankraub, Tätlichkeiten, Vergewaltigung und Mischehen, bis hinauf zum Mord. Leichen in Seen - wer sie waren und wie sie dahin kamen -, das war Kripo-Sache.
    Der Aufzug hielt im zweiten Stock. Der Korridor war wie ein Aquarium beleuchtet. Schwaches Neon prallte von grünem Linoleum und grünlackierten Wänden ab. Derselbe Geruch nach Wachs wie in der Eingangshalle, hier aber noch gewürzt mit den Desinfektionsmitteln der Toiletten und abgestandenem Zigarettenrauch. Zwanzig Milchglast ü ren säumten den Durchgang, einige halb offen. Das wa r en die Büros der Fahnder. Aus eine m kam der Klang eines einsamen Fingers, der auf einer Schreibmaschine hackte; in einem anderen klingelte ein unbeantwortetes Telefon. »Das Nervenzentrum des unermüdlichen Kampfes gegen die verbrecherischen Feinde des Nationalsozialismus,«, sagte März und zitierte damit eine kürzliche Schlagzeile im >Völkischen Beobachter, dem Parteiblatt. Er machte eine Pause, und als Jost weiterhin verständnislos blickte, erklä r te er: »Ein Witz.« »Bitte?«
    »Vergessen Sie's.«
    Er stieß eine Tür auf und knipste das Licht ein. Sein B ü ro war wenig mehr als ein düsterer Wandschrank, eine Ze l le, deren einsames Fenster sich auf einen Hof g e schwärzter Ziegel öffnete. An einer Wand Regale: zerlesene lederg e bundene Bände mit Vorschriften und Anwe i sungen, ein Handbuch der forensischen Medizin, ein Wö r terbuch, ein Atlas, ein Straßenführer von Berlin, Fernsprechbücher, Kästen mit aufgeklebten Etiketten - »Braune«, »Hunds«, »Stark«, »Zadek« -, jeder ein bür o kratischer Grabstein, der an irgendein lange vergessenes Opfer erinnerte. Eine and e re Wand des Büros nahmen vier Aktenschränke ein. Auf einem stand oben ein Gumm i baum, den vor zwei Jahren eine mittelalterliche Sekretärin auf dem Höhepunkt ihrer unausgesprochenen und unerwiderten Leidenschaft für X a ver März da hingestellt hatte. Jetzt war der Baum tot. Das war die ganze Ausstattung, abgesehen von zwei hölzernen Schreibtischen, die unter dem Fenster aneinandergesch o ben waren. Der eine war der von März, der andere der von Max Jäger. März hängte se i nen Überzieher an einen Haken neben der Tür.
    Er zog vor, keine Uniform zu tragen, wenn er es verme i den konnte, und an diesem Morgen hatte er den Rege n sturm über der Havel als Entschuldigung dafür genommen, graue Hosen und einen dicken blauen Pullover anzuziehen. Er schob Jägers Stuhl Jost hin. »Setzen Sie sich. Kaffee?« »Gern.«
    Im Korridor stand ein Automat. »Wir haben Fickfotos reinbekommen. Das glaubst du nicht. Sieh dir das ma an.« Entlang des Durchgangs konnte März die Stimme von Fi e bes hören von VB3, der Abteilung für Sexualverbrechen, wie er mit seinem letzten Erfolg angab. »Hat ihr Mädchen geschossen, sieh mal, kann man jedes Haar sehn. Das Mädchen sollte Profi wern « Worum mochte es da wohl gehen? März schlug gegen die Seite des Kaffeeautomaten, und der warf einen Plastikbecher aus. Die Frau eines Off i ziers, vermutete er, und ein polnischer Arbeiter, den man aus dem Generalgouvernement zur Gartenarbeit rangekarrt hatte. Meistens war es ein Pole; ein träumerischer, seele n voller Pole, der an dem Herzen der Frau zupfte, deren Mann fort an der Front war. Es klang so, als ob sie von e i nem eifersüchtige n Mädchen aus dem BDM, dem Bund Deutscher Mädel, in flagranti fotografiert worden wären, begierig darauf, den Behörden zu gefallen. Das war ein Sexualverbrechen, wie es 1935 das Gesetz über Rasse n schande festgeschrieben hatte. Das würde ein Verfahren vor dem Volksgerichtshof geben. >Der Stürme r < würde darüber saftiggeil als Wa r nung für andere berichten.
    Zwei Jahre Ravensbrück für die Frau. Degradierung und Ungnade für den Ehemann. Fünfundzwanzig Jahre für den Polen, wenn er Glück hatte; wenn nicht, der Tod.
    »Ficken!« Eine männliche Stimme murmelte etwas, und Fiebes, ein wieselartiger Inspektor Mitte Fünfzig, dessen Frau. vor zehn Jahren mit einem SS-Skilehrer durchge b
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