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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland
Autoren: Robert Harris
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sie die Havel verlassen hatten. Er saß steif auf dem Rüc k sitz und starrte auf die grauen Gebäude, die vorbeiglitten. Am Brandenburger Tor signalisierte ihnen ein motorisierter Polizist mit einer Flagge anzuhalten.
    In der Mitte des Pariser Platzes vollführte eine SA-Kapelle in braunen triefnassen Uniformen Schwe n kungen und stampfte durch die Pfützen. Durch die g e schlossenen Fenster des Volkswagens kam das gedämpfte Dröhnen von Trommeln und Trompeten eines alten Parteimarschs. Ein i ge Dutzend Leute hatten sich vor der Ak a demie der Künste versammelt, um ihnen zuzusehen, die Schultern gegen den Regen eingezogen.
    Es war unmöglich, zu dieser Jahreszeit durch Berlin zu fahren, ohne solchen Übungen zu begegnen. In sechs T a gen hatte Adolf Hitler Geburtstag, Führers Geburtstag, ein staatlicher Feiertag, und jede Kapelle im Reich würde an den Paraden teilnehmen. Die Scheibenwischer schlugen den Takt wie ein Metronom.
    »Hier sehen wir den endgültigen Beweis«, murmelte März und beobachtete die Menge, »daß das deutsche Volk angesichts von Militärmusik verrückt wird.« Er drehte sich zu Jost um, der dünn lächelte.
    Ein Becken-Tusch beendete das Stück. Ein feuchter Applaus prasselte. Der Kapellmeister wandte sich um und verneigte sich. Hinter ihm hatten die SA-Männer bereits begonnen, halb gehend, halb rennend zu ihrem Bus z u rückzukehren. Der Polizist auf dem Streifenkrad wartete, bis der Platz leer war, dann stieß er kurz in seine Pfeife. Mit einer weißbehandschuhten Hand winkte er sie durch das Tor. Vor ihnen gähnte Unter den Linden. Die Straße hatte ihre Lindenbäume '36 verloren - niedergemacht in einem Akt amtlichen Vandalismus zur Zeit der Berliner Olympischen Spiele. An ihrer Stelle hatte der Gauleiter der Stadt Joseph Goebbels eine Allee aus 10 Meter hohen Steinsäulen errichten lassen, auf deren jeder ein Parteiadler mit ausgebreiteten Flügeln hockte. Wasser tropfte ihnen von den Krummschnäbeln und den Flügelspitzen. Es war, als führe man durch einen indianischen Begräbnisgrund. März fuhr wegen der Ampeln an der Kreuzung Friedric h straße langsamer und bog nach rechts ab. Zwei Minuten später parkten sie auf dem Platz gegenüber dem Kripobau am Werderschen Markt.
    Es war ein häßliches Gebäude - eine mächtige, rußve r schmutzteMonstrosität der Wilhelminischen Zeit, sechs Stockwerke hoch, an der Südseite des Marktes. März war seit zehn Jahren fast sieben Tage in der Woche hergeko m men. Wie seine ehemalige Frau oftmals beklagt hatte, war es ihm vertrauter als seine Wohnung. Im Innern gab je n seits der SS-Posten und der knarzenden Drehtür ein A n schlagbrett den gegenwärtigen Stand des Terrorismu s alarms bekannt. Vier Farbcodes in aufsteigender Re i hung nach der Dringlichkeit: grün, blau, schwarz und rot. Heute war der Alarm wie immer rot.
    Der Doppelposten in der.Glaskabine überprüfte sie, als sie die Eingangshalle betraten. März zeigte seinen Ausweis und unterzeichnete für Jost.
    Der Markt war geschäftiger als üblich. Die Arbeit ve r dreifachte sich in der Woche vor Führers Geburtstag i m mer. Sekretärinnen klapperten auf hohen Absätzen mit A k tenstapeln über den Marmorboden. Die Luft roch dick nach nassen Mänteln und Bohnerwachs. Gruppen von Offizieren in Orpo-Grün und Kripo-Schwarz standen beisammen und flüsterten von Verbrechen. Über ihren Köpfen sahen von den entgegengesetzten Enden der Hall e mit Girlanden g e schmückte Büsten des Führers und des Chefs des Reichss i cherheitshauptamtes, Reinhard Heydrich, mit leeren A u gen einander starr an. März zog das Metallgitter des Au f zugs zurück und geleitete Jost hinein.
    Die Sicherheitskräfte, die Heydrich kontrollierte, waren in drei Gruppen gegliedert. Am unteren Ende der Hackor d nung war die Orpo, die gewöhnlichen Bullen. Sie lasen Betrunkene auf, patrouillierten die Autobahnen, stellten die Strafzettel wegen überhöhter Ge schwindigkeit aus, na h men die Verhaftungen vor, bekämpften Brände, kontro l lierten die Eisenbahnen und die Flughäfen, nahmen die Notrufe entgegen und fischten die Leichen aus den Seen.
    An der Spitze stand die Sipo, die Sicherheitspolizei. Die Sipo umfaßte sowohl die Gestapo, die Geheime Staatspol i zei, als auch den SD, den parteieigenen Sicherheitsdienst. Ihr Hauptquartier lag in einem grimmen Komplex um die Prinz-Albrecht-Straße, einen Kilometer südwestlich des Marktes. Sie befaßte sich mit Terrorismus, Subversion, Gegenspionage und »Verbrechen gegen
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