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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman
Autoren: Iris Kammerer
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als Vorschuss auf deine Entlohnung - aber verbirg es vor den Augen anderer!«
    Sorgsam barg Annius den Dolch in einer Ledertasche, die der Gefreite ihm reichte, und humpelte auf den Krücken zur Tür, wo er von Asprenas unerwartet eingeholt wurde.
    »Sag mir noch«, flüsterte der Legat, »warst du dabei, als mein Onkel starb?«
    Annius zögerte mit einer Antwort, dachte an den verkrampften Körper, den er gehalten hatte, den harten Stoß, den er mit geführt hatte, den warmen, klebrigen Blutschwall, der sich über seine Hände ergossen hatte. Er drehte Asprenas leicht den Kopf zu und nickte.
    Doch er schwieg.
     
    Vor dem Nebeneingang des Stabsgebäudes wartete das Mädchen. Die Hände in den Falten ihres Mantels verborgen, war sie unruhig auf und ab gehüpft wie ein Kind, hatte innegehalten,
als er durch die Tür trat, die ein Soldat für ihn geöffnet hatte. Jetzt stand sie ganz still, schaute ihn aus großen Augen an, ihr Mund war ein wenig geöffnet, als wollte sie etwas sagen. Kupferrot glänzte es unter der Kapuze hervor.
    Langsam näherte er sich ihr, verspürte die beißende Scham, ein Versehrter, ein Gezeichneter zu sein. Ein Trupp junger Soldaten trabte vorüber, erlaubte sich kecke Pfiffe, die sie nicht zu hören schien. Ihr Blick galt ihm, und es lag kein Mitleid darin.
    Er wünschte sich, an ihr vorbeigehen zu können, einfach vorbeigehen, sie in eine Welt junger, unversehrter Menschen entlassen zu können. Angestrengt kniff er die Augen zusammen. Doch als sie sich unversehens bei ihm einhakte, war ihm, als schnappe eine Falle zu. Eine sanfte Falle.
    »Ich bringe dich zum Medicus«, sagte sie schlicht.
    Er verbat sich die schroffe Antwort, das schaffe er schon allein. Sie wusste es ohnehin.
    »Ich wohne im Haus des Caedicius«, fuhr sie fort. Ihre Stimme klang ihm wie der Gesang der Vögel am Morgen, ihr Gang war leicht und federnd, da störte es nicht, dass sie noch magerer war als damals in jenem Lager, wo er sie erworben hatte.
    Plötzlich hielt sie ihn an, stellte sich vor ihn, sodass sie einander gegenüberstanden, und blickte ihm in die Augen.
    »Ich habe auf dich gewartet«, sagte sie, »und du bist gekommen. Ich habe dich gefunden. Das bedeutet etwas.«
    Annius nickte.
    Sie legte ihre Hände um seine Wangen, machte noch einen Schritt auf ihn zu, dass er ihren Körper spüren konnte. Sie drückte ihre Lippen auf seinen Mund, kurz und fest.
    Wie ein Siegel.

Nachwort
    Die Varusschlacht, die sich im Herbst 2009 zum zweitausendsten Male jährt, ist ein historisches Ereignis, das die Fantasie der Menschen, vor allem die der Deutschen, seit Jahrhunderten beflügelt.
    Die Beschäftigung mit diesem Ereignis, das in der antiken Geschichtsschreibung geringeren Niederschlag fand, als man angesichts der ihr heutzutage zugemessenen Bedeutung erwarten sollte, begann zeitgleich mit dem Ende des Mittelalters, der Reformation und der kulturellen Ablösung des germanischen Sprachraums vom romanischen. Ulrich von Hutten gilt als Wiederentdecker des Arminius und auch als derjenige, der dem aufständischen Cherusker den damals modernen Namen Hermann verpasste. Martin Luther erkannte sofort die Symbolkraft, die in der Figur des Arminius und im Ereignis Varusschlacht als eines Sieges der »Teutschen« gegen die »Welschen« lag. In einer seiner Tischreden heißt es: »Wenn ich ein poet wer, so wollt ich den zelebrieren. Ich hab ihn von hertzen lib.«
    Arminius alias Hermann wurde zu einem Symbol des Widerstandes gegen Rom und das Papsttum, gegen die Autorität des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches und schließlich sogar zu einem mythischen Vorkämpfer in der Entwicklung des Nationalgedankens: Als derjenige, dem es als Erstem gelungen
sei, die »deutschen Stämme« zu einen, wurde er zum »ersten Deutschen«.
    Im 19. Jahrhundert, im Zuge der Gründung des Deutschen Reiches, flammte in Deutschland eine nationalistische Germanentümelei auf; Arminius, genannt Hermann, fungierte als Prototyp des »deutschen Helden«, an dem »welsche Tücke« zerbrach. Dieser Kult fügte sich schließlich in die durch Heinrich Himmler beförderte pseudoreligiöse Rassenideologie, zu der auch der nationalistische Gedanke einer von großen Deutschen vorangetriebenen Weltgeschichte gehörte.
    Nach dem Ende des Dritten Reiches verlor die Symbolfigur Arminius/Hermann völlig an Bedeutung, die Varusschlacht sank in den Rang einer historischen Episode, wurde zunehmend als ein - wenn auch mit hohen Verlusten verbundener - Teil der
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