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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman
Autoren: Iris Kammerer
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keiner den Ring des Statthalters am Schurzband.« Asprenas nahm den Griffel vom Tisch und trommelte damit auf seinem Bein herum. »Eigentlich kümmert es mich nicht, unter welchen Umständen jemand entkommen ist, und die Angaben, die dein Mädchen über dich gemacht hat, haben sich auch als richtig erwiesen. Aber wie du an diese
Gegenstände«, er klopfte mit dem Griffel auf den Tisch, »gelangtest, das möchte ich doch gerne erfahren.«
    Annius drückte die Zähne in die Unterlippe und blickte zu Boden. Asprenas war ein Neffe des Varus, er trug Trauer um einen Verwandten, der das Opfer rasender Feinde geworden war.
    »Varus selbst hieß mich den Ring hierherbringen«, sagte Annius leise, ohne aufzusehen.
    In die Stille polterten die Schritte eines den Gang hinuntereilenden Soldaten. Vorsichtig hob Annius den Blick und bemerkte die tiefe Bestürzung in Asprenas’ Miene.
    »Mann, du gehörst eigentlich zur Vierzehnten Legion«, stieß Asprenas hervor, »das bedeutet, du fällst ohnehin unter meinen Befehl. Du bist ein kleiner Gefreiter, den irgendjemand aus Varus’ Stab wegen seiner schönen Handschrift angefordert hat. Als Gerichtsschreiber. Ich hab den Schrieb vor mir.« Er wedelte mit einer Doppeltafel in der Luft. »Wie, beim Hercules, bist du an den Ring meines Onkels gelangt?«
    »Ich habe mir das nicht ausgesucht«, erwiderte Annius. »Er gab ihn mir. Den Brief und den Ring.«
    »Warum hätte er das tun sollen? Er war umgeben von Praetorianern, bestens ausgebildeten Leibwächtern, Stabsoffizieren, denen er diese Dinge weit eher anvertraut hätte als einem dahergelaufenen Gefreiten.«
    »Die Praetorianer waren in der letzten Schlacht aufgerieben worden, und der Feind hatte es ganz besonders auf die Offiziere abgesehen. Ich war verwundet, ich war … zur Stelle.« Annius breitete hilflos die Arme aus. »Wäre ich hierhergekommen mit diesen Dingen, unter Kleidung und Rüstung verborgen, wenn ich sie gestohlen hätte? Was hätten sie mir nützen sollen?«
    Asprenas’ Stirn blieb tief durchfurcht und finster, während
der Blick seines Gefreiten aufmerksam zwischen ihnen hin und her flog.
    »Und der Dolch?«, blaffte Asprenas. »Was hat es mit dem auf sich? Willst du behaupten, dass mein Onkel sich damit erstochen hat, anstatt sein Schwert zu benutzen?«
    Die Verachtung in seinen Worten traf Annius bis ins Mark. Wie sollte er Asprenas erklären, was Varus’ von seiner Tat erhofft hatte? Dass er sich aus freien Stücken erniedrigt hatte in dem Glauben, damit so vielen Soldaten wie möglich einen schrecklichen Tod zu ersparen? Was für ein aberwitziger Gedanke! Welchen Sinn machte es, die Wahrheit zu sagen, wenn es das Ansehen des Statthalters schädigte und seinen trauernden Neffen verletzte? Wenn nichts Gutes mehr darin lag?
    »Der Dolch lag herum. Ich nahm ihn mit, nachdem Varus sich in sein Schwert gestürzt hatte. Ich brauchte eine Waffe.«
    »Du hattest ein Schwert!«
    »Ich brauchte jede Waffe, derer ich habhaft werden konnte, nachdem er mir befohlen hatte, diese Dinge hierherzubringen. Das Lager war bereits so gut wie gestürmt!«
    Asprenas schien auf einmal ermattet, die Schultern waren herabgesunken, die Hände lagen auf seinen Oberschenkeln, als gehörten sie ihm nicht. Der vernarbte Gefreite schlurfte durch eine Nebentür hinaus.
    »Wie hast du es hierhergeschafft?«, fragte Asprenas unerwartet leise.
    »Ich hatte Kameraden. Freunde. Sie sind tot. Einer durch meine Schuld. Als er starb, musste ich ihm schwören, meinen Auftrag zu erfüllen.«
    Nach kurzem trockenem Klopfen kehrte der Gefreite mit zwei silbernen Henkelbechern zurück, gefolgt von einem
halbwüchsigen Sklaven, der einen kleinen Mischkrug hereintrug und auf einem Dreifuß platzierte, bevor er die Becher, die der Gefreite ihm hinhielt, befüllte. Nacheinander reichte er dem Legaten und dann Annius einen, Asprenas hob seinen Becher Annius entgegen, goss einen dünnen Strahl - »Für meinen Onkel, möge die Erde ihm leicht sein!« - in die Schüssel, die der Sklave hielt. Nachdem Annius es ihm gleichgetan hatte, tranken sie einander zu.
    »Ring und Brief werde ich weiterleiten«, sagte Asprenas. »Beides steht seiner Frau zu. Und der Dolch …« Er ergriff das Heft der Waffe, zog sie aus der Scheide, betrachtete das klare Blatt. »Ein schönes Stück. Eine herrliche Arbeit aus dem Osten, vielleicht im Illyricum erbeutet.«
    Rasch steckte er die Klinge zurück, bettete die Waffe auf beide Hände und hielt sie Annius entgegen. »Betrachte das
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