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Vampirzorn

Vampirzorn

Titel: Vampirzorn
Autoren: Brian Lumley
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weitgehend unbekannte Tiefe fand der Necroscope ihren Kopf. Er brachte es nicht über sich, mehr als nur einen flüchtigen Blick auf ihr Gesicht zu werfen, sonst wäre er zusammengebrochen. Doch merkwürdigerweise – vielleicht auch nicht ganz so merkwürdig – sah sie aus, als habe sie ihren Frieden gefunden. Etwas, was sie niemals erreicht hätte, wäre sie am Leben geblieben. Denn dann wäre sie jetzt eine Wamphyri!
    Harry hüllte ihre Überreste in eine Decke und brachte sie hinauf auf die Bergkuppe, in den Glanz des Mondes und der Sterne. Dort überraschte sie ihn, indem sie ihm sagte:
    Es stimmt also, was sie mir von dir erzählt haben! Mir war ja schon immer klar, dass du ein seltsamer Kerl bist. Seltsam und tiefsinnig. Oh, das sah ich in deinen Augen, von Anfang an. Und ich dachte, ich hätte dich betört ...
    »Das hast du«, erwiderte er. »Aber ich liebte dich um deinetwillen, nicht wegen deines lügnerischen Blicks.«
    Kannst du mir das verzeihen? Denn am Ende stellte ich mich, wie du ja siehst, gegen Radu – für dich.
    Harry schirmte seine Gedanken ab, denn nun war er gezwungen zu lügen, auch wenn es eine Notlüge war. Denn noch nicht einmal jetzt vermochte er zu sagen, ob sie die Wahrheit sprach oder nicht. Hatte sie sich tatsächlich um seinetwillen gegen den Hunde-Lord gewandt oder nur deshalb, weil sie ihn besitzen wollte? Immerhin wäre sie um ein Haar eine Lady geworden, schrecklich und besitzergreifend und eifersüchtig über ihr Revier wachend. Diese Berge gehörten ihr, und zwar seit zweihundert Jahren. Es wäre ihr nicht leichtgefallen, sie Radu zu übereignen. Und was den Necroscope anging ... wer vermochte das schon zu sagen?
    Doch er wollte ihr Glauben schenken. Darum sagte er nur: »Es gibt nichts zu verzeihen.«
    Ich spüre die Wärme, die du ausstrahlst, sagte sie nachdenklich. Kein Wunder, dass sie dich ebenfalls lieben. Schon seltsam, dass hinter diesen kalten, eiskalten Augen und diesem kalten, eiskalten Gesicht eine solche Wärme liegt. Aber vielleicht ist es auch gar nicht so seltsam? Der Tod ist dein ständiger Begleiter, das muss schon ganz schön kalt und einsam sein. Und ich Närrin fragte dich einst danach, was du vom Leben hältst!
    Mittlerweile war Harry den Tränen nahe, doch wollte er nicht, dass B. J. ihn so sah. Darum wechselte er das Thema und sagte: »Du bist eine tapfere Frau. Manche brauchen recht lange, bis sie sich an ... an den Gedanken gewöhnen.«
    Sie haben mich alle willkommen geheißen, erklärte sie. Die zahllosen Toten; fürs Erste jedenfalls. Obwohl ich mir vorstellen kann, dass der Reiz des ... des Neuen? ... bald verfliegt. Deine Mutter hat mich begrüßt und all deine Freunde. Du hast ziemlich viele, Harry, eine Große Mehrheit. Im Augenblick habe ich meinen Frieden hier bei ihnen.
    »Das freut mich«, entgegnete Harry.
    Aber wenn es so bleiben soll, fuhr B. J. fort, darf ich nicht hierbleiben. Darum sag’ mir ... hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, was du mit mir anstellen wirst?
    »Mit dir anstellen?« Harrys Gefühle standen kurz davor überzufließen.
    Nicht doch!, sagte sie mit bebender Stimme. Dann fange ich auch bloß an zu heulen ...
    Er riss sich zusammen. »Wohin möchtest du denn?«
    Sie zeigte es ihm: einen fernen, kalten, in goldenem Glanz schimmernden Ort, der sehr gut zu ihr passte. Er brachte sie hin. Doch wenn er am Leben bleiben wollte, konnte er sie auf dem letzten Stück nicht begleiten. Am Ende seines Weges ließ er ihren Leichnam sanft durch das Tor gleiten und zu Boden sinken ...
    ... Mit einem Mal wütend, kehrte Harry in Radus Höhle zurück, wo er seinen todbringenden Plastiksprengstoff verteilte, die Ladungen anbrachte und von der gegenüberliegenden Seite der Schlucht aus zusah, wie der verrottete Fels der Bergkuppe langsam in sich zusammensackte. Es war vollbracht.
    Nun konnte er wieder zum Mond hinaufblicken und sich vorstellen, dass er dort B. J. sah, und ihr ein letztes Lebewohl sagen.
    Ich war seit jeher ein Mondkind, sagte sie ihm von fern. Und nun bin ich gewissermaßen zu meinem Ursprung zurückgekehrt. Und das musst du ebenfalls, Harry. Du musst dich darauf besinnen, woher du kommst, und mich vergessen.
    »Aber wie könnte ich dich je vergessen?«, stieß er mit erstickter Stimme hervor und vermochte die Tränen nicht länger zurückzuhalten.
    Ach, da siehst du’s! , sagte B. J. Das hattest du mir voraus, und darum hast du auch Radu besiegt. Ich hatte recht: Die Kälte in dir entspringt bloß deiner
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