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Valley - Tal der Wächter

Titel: Valley - Tal der Wächter
Autoren: Jonathan Stroud
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die Nachgeburt hatte geben lassen, kaum dass die Nabelschnur durchtrennt war, damit bergauf gestiegen. Nach der Klettertour, die ihm drei erfrorene Finger bescherte, gelangte er zu den Hügelgräbern und warf die Opfergabe zwischen die Steine, damit sich die Trolde daran laben konnten. Allem Anschein nach hatte es ihnen geschmeckt, denn vom ersten Tag an trank das Neugeborene tüchtig an der Brust. Der kleine Junge wuchs und gedieh und blieb den ganzen Winter über von Krankheiten verschont. Er war das erste von Astrids Kindern, das nach Gudnys Geburt drei Jahre zuvor am Leben blieb, und allein das war für alle Angehörigen des Hauses ein Anlass zu großer Freude.
    Im Frühjahr gaben Hals Eltern zu Ehren ihres jüngsten Kindes ein großes Fest. Die Wiege stand auf dem Podium in der großen Halle, und die Gäste zogen daran vorbei, um dem Kind ihre Hochachtung zu erweisen. Arnkel und Astrid saßen auf den Richterstühlen und nahmen die Geschenke entgegen, Felle, Kleidung, geschnitztes Spielzeug und eingemachtes Gemüse, während die kleine Gudny steif und stumm neben ihrer Mutter stand, das blonde Haar zu einem ordentlichen Zopf geflochten. Hals großer Bruder Leif, der Erbe des Hauses und aller Ländereien, kümmerte sich nicht um die ganzen Feierlichkeiten, sondern balgte sich unter dem Tisch mit den Hunden um irgendwelche Reste.
    Die Kommentare an der Wiege fielen überschwänglich und lobend aus, doch in den Winkeln der Halle, wo Eyjolf und die anderen Knechte die Bierfässchen gestapelt hatten und sich der Lampenrauch in trägen Schwaden sammelte, wurden gewisse Zweifel laut.
    »Der Kleine sieht irgendwie merkwürdig aus.«
    »Er sieht seiner Mutter überhaupt nicht ähnlich.«
    »Schlimmer noch, seinem Vater auch nicht. Er erinnert mich eher an seinen Onkel.«
    »Also, dann noch eher an einen Trold! Astrid kann Brodir nicht ausstehen, das weiß doch jeder.«
    »Kräftig ist der Kleine jedenfalls. Hört nur, wie er brüllt!«
    Hal wuchs heran, aber seine Andersartigkeit gab sich leider nicht. Sein Vater, der schwarzmähnige Arnkel, hatte breite Schultern und sehnige Glieder, eine hochgewachsene, Achtung gebietende Gestalt, sowohl in der Halle als auf dem Feld. Seine Mutter Astrid hatte die hellen Locken und den rosigen Teint ihrer Familie aus dem Untertal. Auch sie war groß und schlank und von einer Schönheit, die den dunkelhaarigen Mitgliedern von Svens Haus fremd, ja unheimlich war. Leif und Gudny waren Miniaturausgaben ihrer Eltern. Sie waren beide schlank, anmutig und gefällig anzuschauen.
    Im Gegensatz dazu war Hal von Anfang an eher klein und gedrungen, ein kräftiger Junge mit breiten Händen und einem wiegenden Gang. Sein Teint war sogar für einen aus den Bergen ziemlich dunkel, und in seinem Gesicht saßen eine freche Stupsnase, ein trotzig vorspringendes Kinn und weit auseinanderliegende, vor Wissbegier funkelnde Augen, mit denen er unter seinem ungebärdigen schwarzen Schopf hellwach in die Welt hinausblickte.
    Beim Essen setzte der Vater den kleinen Hal auf seinen Schoß und ließ sich voller Stolz und Zärtlichkeit gefallen, dass die dicken Fingerchen des Kleinen seinen dichten, drahtigen Bart erforschten und daran zogen, bis seinem Besitzer die Tränen in die Augen stiegen. »Der Junge hat Kraft, Astrid!«, schnaufte Arnkel. »Und Temperament für zwei. Hat dir Eyjolf schon erzählt, dass er ihn im Stall erwischt hat? Mitten zwischen Hrafns Hufe hat er sich gestellt und den Hengst am Schwanz gerupft!«
    »Und wo war Katla, als unser Kind in Lebensgefahr schwebte? Na, ich werde ihr wegen ihrer Unachtsamkeit die Ohren lang ziehen!«
    »Schimpf nicht mit ihr. Sie wird allmählich kurzatmig und ist manchmal ein bisschen tüdelig. Gudny kann ihr ja helfen, auf ihren kleinen Bruder aufzupassen, was, Gudny?« Arnkel fuhr seiner Tochter durchs Haar, worauf sie den Kopf wegdrehte und mürrisch von ihrer Handarbeit aufsah.
    »Nö. Er hat in meinem Zimmer rumgeschnüffelt und meine Multbeeren aufgegessen. Soll Leif doch auf ihn aufpassen.«
    Aber Leif war draußen auf der Wallgrabenwiese und warf mit Steinen nach den Vögeln.

    Damals waren Astrid und Arnkel zu sehr mit ihren Pflichten in Haus und Hof beschäftigt, als dass sie sich selbst um das tägliche Wohlergehen ihres Jüngsten hätten kümmern können. Diese Aufgabe fiel Katla zu, der weißhaarigen, runzelgesichtigen alten Amme. Sie kümmerte sich um Hal, wie sie es zuvor bei Leif und Gudny und davor auch beim Vater der Kinder getan hatte. Katla
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