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Valadas versinkende Gaerten

Valadas versinkende Gaerten

Titel: Valadas versinkende Gaerten
Autoren: Waldtraut Lewin
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damals frönten: Umgeben von einem Tross von Dienern mit Fliegenwedeln, Parfümflaschen und Sonnenschirmen, gefolgt von einem kräftigen Sklaven oder gemieteten Lastenträger, der die Einkäufe zutransportieren hatte, schritten sie von Stand zu Stand, begutachteten die Ware und kauften, was sie wahrscheinlich ohnehin zu Haus hatten und überhaupt nicht brauchten. Es ging in diesen noch halbwegs freizügigen Zeiten darum, dass man der Langeweile eines Harems, eines Gartens, der nichts Neues mehr bot, einem immer gleichen Alltag entrann, sich draußen zeigen konnte, hie und da den Schleier lüpfte, angeblich, um eine Melone oder ein paar Trauben besser beurteilen zu können, und auch mal einen Blick mit einem jungen Ladendiener wechselte.
    Als die Tochter des vorletzten Omayaden-Kalifen an jenem Tag kam, sahen wir sie und ihr Gefolge schon von weitem, denn vor ihr wichen alle anderen auf diesem Markt zurück und machten ihr ehrfürchtig Platz, und in einem Bannkreis von atemlosem Schweigen und einer Verehrung, die man fast mit den Händen greifen konnte, ging sie über den Platz und hin zu den Arkaden, die unsere Stände und die Auslagen der anderen Händler beschatteten.
    Ich hatte zuvor mit lauter Stimme meinen Spruch ausgerufen, und das musste sie wohl gehört haben, denn sie kam geradenwegs auf unseren Verkaufstisch zu, an der Spitze ihres kleinen Trosses, Leibwächter inbegriffen, mit großen, freimütigen Schritten, so wie Leute gehen, die nichts und niemanden fürchten, entweder, weil sie reich sind oder stark oder eben beides.
    Und an dieser Frau gab es zwei Dinge, die mich so überraschten und beeindruckten, dass ich mit offenem Mund stehen blieb, in jeder Hand eine halbe Feige, und sie anstarrte und darüber vergaß, mich zu verneigen und sie zu grüßen.
    Zum Ersten, diese Frau trug keinen Schleier. Nicht einmal ein Hauch von durchbrochener Spitze oder durchsichtigem Tüll war über Mund und Nase gezogen. Gar nichts. Sie zeigte aller Welt ihr nacktes Gesicht. Ihr nacktes weißes Gesicht, weiß wie Alabaster.
    Das Zweite waren ihre Augen.
    Zwar wusste jeder, dass ihre Mutter eine zum Islam übergetretene »Gotin«, eine junge Fürstin aus dem Norden, dem christlichen Teil Spaniens, war, aber was das für das Aussehen ihrer Tochter bedeutete, ahnte ich nicht . . .
    Denn Prinzessin Valadas Augen waren und sind blau. Oder sind sie grün? Sie sind wie tiefes Wasser, von der Sonne beschienen, mal Türkise, mal Smaragde, mal Aquamarine, und dann wieder, im Dunkeln, gleichen sie hyazinthenfarbenen Amethysten, und wenn sie zornig ist, werden sie grau wie das Meer bei Sturm.
    Was schwärme ich da? Es sind die Augen meiner Geliebten!
    Und so kam sie auf mich zu, lachend, nahm mir eine halbe Feige aus der Hand und biss hinein, und während ihr der Saft übers Kinn tropfte, sagte sie: »Wie hast du da eben deine Ware ausgerufen? Wiederhol es!« Und dann: »Wer hat dir so einen Spruch beigebracht?«
    Ich stammelte, rot und blass, er sei von mir selbst erfunden.
    »So«, sagte sie und nickte, und ihr blauer Blick wanderte zu meinen Brüsten, wie es sonst wohl die Blicke junger Männer taten. »Wie heißt du?«
    »Ich bin Muhdja, die Tochter des Feigenhändlers!«, sagte ich und starrte sie an, ungehörig   – ich war ein junges Mädchen ohne Bildung.
    »Nun, Muhdja«, sagte sie vergnügt, »besuch mich morgen in meinem Haus. Dann will ich sehen, ob du noch mehr Verse schmieden kannst, und dich für diese Feige, die ich genossen habe, bezahlen.«
    Damals schrieb sie die ersten Verse auf mich, auf das kleine Mal, das der Allmächtige mir verliehen hat, den braunen Punkt schräg über meiner Oberlippe. Den Vers, mit dem sie mich damals der erlesenen Gesellschaft ihrer Freunde und Anhänger präsentierte, mich an der Hand haltend:
     
    »Die Schöne trägt ein Mal im Angesicht
    Gleich jenem Flecken, der des Mondes Licht
    Noch mehr hervorhebt. Allah, ich verlange
    Zu küssen dieses Zeichen ihrer Wange.
    Mehr bedarf es nicht,
    Dass ich mit ihr ins Paradies gelange.«
     
    Als sie mich dann später, nachdem alle fort waren, zu bleiben bat und mich hinter die duftenden Vorhänge ihres Lagers führte, da hatte ich Angst. Denn wenn sie mich berührte, würde sie finden, dass ich kein ungerittenes Füllen mehr war   – wilde Nachbarssöhne hatten ihre Spiele mit mir getrieben, und ich hatte es nicht ungern geschehen lassen.
    Aber sie lachte nur, als ich, beklommen und gesenkten Hauptes, darauf hinwies, und während ihre Finger
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