Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
V wie Verrat

V wie Verrat

Titel: V wie Verrat
Autoren: Anna Schwarz
Vom Netzwerk:
Standpunkte gekämpft und gestritten. Aber er hatte noch nie eine Auseinandersetzung gescheut. Er war einfach keiner, der weglief. Wäre ich sicher gewesen, dass er das alles aus eigenem freien Willen tat, hätte ich an dieser Stelle aufgegeben. Aber ein nicht erklärbares Gefühl ganz tief aus meinem Bauch, sagte mir, dass da was nicht stimmte. Mir war klar, ich würde keine Ruhe haben, bevor ich nicht herausgefunden hatte, was. Und wenn das bedeutet, ihm nach Russland folgen zu müssen - ok. Auch dazu war ich bereit.
    Nach und nach trudelten die ersten Passagiere ein. Ein großer, blonder Lockenkopf ließ mich zusammenzucken, aber ich verdrängte den Gedanken an Andrew sofort wieder. Eins nach dem anderen.
    Beim Boarding sah ich Lea kurz vorbeihuschen, sie winkte mir zu und hielt zwei Finger in V-Geste hoch. Ich verstand nur Bahnhof, aber an Board bekam ich die Erklärung. Da die Businessclass nicht voll besetzt war, hatte sie es irgendwie geschafft, mich da reinzuschmuggeln. Ihre Kollegin brachte mich schmunzelnd zu meinem Platz und sagte leise: »Sie kommt gleich. Viel Vergnügen.«

    Um mich herum öffneten wichtig aussehende Herren in geschmackvollen Anzügen ihre Tageszeitungen oder Laptops. Die riesigen Sitze waren himmlisch weich und es war mehr als genug Platz, um sich auszustrecken. Ich hatte mich gerade von meiner Überraschung erholt, als Lea hereinwirbelte.
    »Ich hab nur zwei Minuten, aber ich komm später wieder zu dir. Brauchst du noch irgendwas?«
    »Nein. Lea, du bist ein Engel. Das ist traumhaft hier. Vielen Dank!«
    Sie legte den Zeigefinger an die Lippen, zwinkerte verschwörerisch und war wieder weg. Ein gut aussehender Endfünfziger schräg vor mir hatte unser Gespräch wohl doch mitbekommen, denn er wandte sich um und musterte mich. Ich schluckte. Doch dann hob ich das Kinn und tat so, als sei es für mich das Normalste der Welt, dabei kannte ich bisher nur die »Holzklasse«.
    Er taxierte mich so offen, dass es fast schon ein wenig unverschämt war und schenkte mir dann ein strahlendes Lächeln. In einer anderen Situation hätte ich zurückgestrahlt, aber ich war absolut nicht in der Stimmung für eine Unterhaltung und schon gar nicht für einen Flirt. Also nickte ich ihm nur huldvoll und ernst zu. Enttäuscht drehte er sich wieder um.
    Als wir endlich in der Luft waren, kuschelte ich mich in den Sitz und schloss die Augen. Versank langsam in der wundersamen Welt zwischen Schlafen und Wachen, in der Gedanken so leicht und wirr wie tanzende Schneeflocken im Wind werden.

    Kühle Finger streicheln über meine Wange, gleiten durch meine Haare in den Nacken. Ich öffne träge die Augen. Veilchenblaue Zärtlichkeit strömt mir entgegen, fließt durch meine Pupillen bis in den Bauch wie warmer Met.
    »Viktor«, flüstert ich und schmiege meine Wange in seine Hand.
    »Liebster, wo warst du so lange?«
    Er lächelt mich an, doch seine Augen wirken irgendwie traurig. Ich kann mich nicht bewegen, bin am Sitz festgeklebt. Aber es stört mich nicht, ich bin vollkommen damit beschäftigt, ihn zu betrachten. Mir jedes Detail einzuprägen. Die vollen, dunklen Haare, in die ich so gerne meine Finger vergrabe. Die dichten, schwarzen Wimpern, auf die so manche Frau neidisch wäre. Die kleinen Grübchen in seinen Wangen, wenn er lächelt wie jetzt. Den zarten Kranz feiner Lachfältchen, die ihn so aufregend sexy machen. Und schließlich, das Beste zum Schluss, dieses mit Worten schwer zu beschreibende, schon ins Violett changierende Blau seiner Augen. Wenn ich länger hineinsehe, entdecke ich kleine hellere Sprenkel in der Tiefe, eine Vorahnung des gleißenden Lichts, das aus ihnen explodieren kann.
    Er wird irgendwie unscharf, scheint sich aufzulösen.
    »Liebster, bleib bei mir«, flüstere ich.
    Sein melancholisches Lächeln verblasst immer mehr. Bevor er ganz verschwindet, formt er mit den Lippen lautlos drei Worte.
    »Bitte verzeih mir.«

    »Anna?«
    Benommen öffnete ich die Augen. Lea saß neben mir und sah mich aufmerksam an.
    »Du hast geträumt Carissima. Und es muss etwas Schönes gewesen sein, denn du hast gelächelt.«
    »Ja, am Anfang war es das.«
    Sie bohrte nicht weiter, sondern fragte: »Kann ich dir noch was Gutes tun? Espresso? Oder Wasser?«
    Und wie beim ersten Mal antwortete ich: »Beides, wenn es geht.«
    »Klar. Kommt sofort.«
    Wir lachten beide. Ich sah ihr nach und wunderte mich darüber, in welch kurzer Zeit man einen Menschen so lieb gewinnen konnte. Sie versorgte mich mit dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher