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Urmel im Vulkan

Urmel im Vulkan

Titel: Urmel im Vulkan
Autoren: Max Kruse
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größer wurde das Ei über uns. Auch die Treppe reckte
und streckte sich. Unter uns lagen die Wurzeln des Baumes so klein, wie von der
Höhe einer Kirchturmspitze betrachtet. Nach jeder Biegung dachte ich, wir würden
nun oben sein. Doch drehten sich die Stufen immer weiter. Und doch durchstießen
wir einmal die untere Schale des Eies. Und schon standen wir in seinem Inneren.
Es glich einem Saal mit einer gewölbten Decke. Doch konnte ich nirgends ein
Ende oder eine Wand ausmachen, so unermeßlich erschien es mir. Sehr weit von
unserem Eingang entfernt herrschte geschäftiges Treiben. Dort eilten Dutzende
von Gestalten hin und her. Jede einzelne kann ich nicht beschreiben, es konnten
Hasen, Fische mit Beinen, gestiefelte Käfer und Insekten mit Hüten gewesen
sein. Sie trugen vielerlei Umhänge und Uniformen. Die ganze Bewegung drehte
sich um ein mächtiges Himmelbett für zwei Personen. Wie wir später sahen,
ruhten dort die Erdmama und der Meergeist nebeneinander und hielten Hof.

    Da uns niemand beachtete, konnten wir leicht näher treten.
Ungehindert hörten und sahen wir zu.
    Verstand ich auch kaum etwas, konnte ich doch die beiden
Hauptpersonen gut beobachten. Die Erdmama glich einem Maulwurf aufs Haar. In
den Augenschlitzen hatte sie Tränen, und der Meergreis wischte sie ihr mehrmals
trocken, mit großen Flossenhänden. Er ähnelte einem Wal, nur umgab seinen Mund
ein wuchernder Bart.
    Ich hörte die Erdmama seufzen: »Wo ist nur mein lieber Gluto?«
Da war mir gar nicht wohl. Doch wurde sie von ihrem Kummer immer wieder
abgelenkt. Einmal trat ein Männchen an ihr Lager, das sie »Regenmacher« nannte.
Der Arme zitterte, sie war zornig auf ihn. »Ich kann Unordnung nicht leiden. In
Amerika herrscht Dürre, die Ernte in Kanada vertrocknet, und in Indien haben
wir dagegen Überschwemmungen!«
    »O ja, o ja!« bibberte er. »Es war nur eine ganz kleine
Stockung. Der Ölgnom hat mir nicht rechtzeitig neues Erdöl liefern mögen, da
lief die Kreislaufpumpe heiß...« Er wollte wohl noch mehr Klagen vorbringen,
doch die Erdmama winkte einen gewaltigen Hünen zu sich. Der schwenkte seine
Arme ständig — wie Windmühlenflügel ging das um seinen Kopf. »Nun«, rief sie
diesem zu, »nun, dreht sich die Achse?«
    »Die Erdachse dreht sich, die Erde rollt«, entgegnete er und
verschwand. Sicher durfte er die Erdachse nicht lange allein lassen, sondern
mußte sie drehen, immer drehen.
    Jetzt hob der Meergreis sein gewaltiges Haupt und fragte mit
tiefem Baß: »Erdzeitmesser, welche Zeit haben wir wohl?« Ein Männchen trippelte
herbei, alt wie die Welt selbst. In seinen Händen trug es einen leuchtenden
Kristall, den es in die Höhe hielt und aufmerksam betrachtete. Dann sagte es
ein ungeheuer langes Wort, das ich wieder vergessen habe, das aber bestimmt mit
»Fünf Milliarden...« anfing und dann noch lange nicht zu Ende war.
    Dafür aber war die uns geschenkte Zeit des Staunens und
Schauens abgelaufen. Gleichzeitig dampften jetzt Mofettel und Solfatel durch
eine Ritze des Fußbodens. Das Ei, in dem wir uns befanden, hatte wohl eine
rissige Schale. Die beiden redeten zischend auf die Erdmama ein. Wäre es nicht
um unser Schicksal gegangen, hätte sie mir fast leid tun können, öfföff.
    Solfatel und Mofettel beugten sich tief über die Erdmama, sie
war von bläulichem und gelblichem Qualm ganz umhüllt. Immer wieder hörten wir
einzelne Worte, wie »Gluto...«, »Braut...« und »betrogen...«.
    Die Erdmama wedelte mit der Hand. Solfatel und Mofettel
schwankten hin und her und zogen sich ein wenig zurück. Die Erdmama entgegnete
ihnen: »Wie? Mein armer Gluto ist hintergangen worden? Hörst du es, Meergreis?«
    »Ich höre es, meine Liebe«, antwortete er. »Aber wer weiß, was
der Lauselümmel wieder einmal angestellt hat!«
    »Pah!« machte die Erdmama und wedelte wieder mit der Hand, diesmal
jedoch wegwerfend gegen seine Nase.
    Ich aber mochte den Meergreis jetzt richtig gern.



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    Ich hoffte beim Meergreis Verständnis und Unterstützung zu
finden und wollte mich schon bemerkbar machen, da hielt mich das heftige Zetern
der Erdmama wieder zurück: »Immer hast du etwas gegen meinen guten Jungen,
dabei will er doch nur spielen und Feuerchen machen und spielen und Feuerchen
machen! Was ist denn schon dabei?«
    Da ist allerhand dabei, öfföff, dachte ich mir. Und ich
befürchtete, irgendwo auf der Welt würde es jetzt gerade ein Erdbeben geben,
denn die
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