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Titel: Upload
Autoren: Cory Doctorow
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die erste und einzige Frau umgebracht hätte, die er wirklich liebte. Es war ihre Schuld.
    Nach einer Woche in den Benelux-Staaten, in denen er ausschließlich auf vermögende, choles-terinbewusste alte Käuze gestoßen war, die ihre Arterien vor den Verwüstungen einer fettreichen Ernährung genauso eifrig schützten wie ihr Geld vor dem Zugriff des Finanzamts, lief Arts Wagen nur noch aufgrund letzter Reste von Methangas, aus tierischen Exkrementen gewonnen. Deshalb war er vor Freude völlig aus dem Häuschen, als er sich endlich wieder auf britischem Boden befand, auf dem Greenwich-Nullmeridian, wo das Fett wie aus Quellen sprudelte, er seinen kleinen Flitzer leicht und billig auftanken und sich den Wodka in die Kehle kippen konnte, anstatt den Tank damit zu füllen.
    In den frühen trägen Morgenstunden eines heraufdämmernden Sonntags fuhr er über die Kensington High Street – Greenwich-Zeit 03:00h, 22:00h nach Östlicher Standardzeit. Das GPS zeig-17
    te so wenig Datenpunkte an, dass er nicht einmal das Verkehrsaufkommen zwischen seinem aktuellen Standort und Camden High abschätzen konnte, wo er eine Wohnung gemietet hatte. Wenn das GPS im Relay-Netzwerk nicht genügend Peers findet, um seine Karten mit Verkehrsdaten zu kolorieren, weiß man, dass man im hektischen vierundzwanzigstündigen Biorhythmus der Stadt eine ruhige Phase erwischt hat, einen Moment der Gnade, in dem die Straßen einem fast allein ge-hören.
    Und so pfiff er eine fröhliche Melodie vor sich hin und nippte an seinem Turbokaffee. Diese Mode hatte es vor kurzem auch bis nach Großbritannien geschafft – dank der gelockerten EU-Vorschriften zur Entsorgung schweren Wassers. Dieser Kaffee wurde nie kalt und blieb stets so heiß, dass er die optimale Koffein-Osmose bis zum letzten Tropfen gewährleistete.
    Falls er nervös war, dann sicher nicht schlimmer, als man es von einem SÖZler auf dem Greenwich-Nullmeridian erwarten konnte, außerdem fuhr er vorsichtig und mit angemessener Aufmerksamkeit. Hätte die Frau nach rechts und links gesehen, ehe sie vom Bordstein auf die trügerisch leere Straße trat, hätte sie in der völlig dunklen Kurve vor dem Royal Garden Hotel keine modische schwarze Kleidung getragen, wäre sie nicht direkt in seinen Wagen hineingelaufen, hätte er noch aus-18
    weichen und fluchen können. Und dann hätte sie sich höchstens ein wenig erschrocken.
    Aber sie sah nicht nach rechts und links, trat auf die Straße und lief in den Wagen. So fest er konnte, trat er auf die Bremse, riss das Lenkrad heftig herum, erwischte sie jedoch an der Hüfte und schleuderte sie in hohem Bogen in die Luft, bevor der kleine Sportwagen sich ein paar Mal überschlug und nach drei vollständigen Umdrehungen auf der Kensington High im Gebüsch vor dem Royal Garden Hotel landete. Art, der über und über mit brühend heißem Turbokaffee bespritzt war, brüllte vor Schmerz und rieb sich die Augen.
    Er hing kopfüber in den Sicherheitsgurten, als die Portiers aus dem Royal Garden Hotel die Tür des umgekippten Wagens öffneten, den Sicherheitsgurt lösten und Art hinter dem schnell erschlaf-fenden Airbag hervorzogen. Sie tauchten ihn mit dem Gesicht in das Zierbecken, eine Vogeltränke, die mit einer dünnen Eisschicht überzogen war.
    Das Eis zersprang an seiner Nase und rann klir-rend über seine Wangen. Aber wenigstens kühlte das kalte Wasser den Turbokaffee ab und milderte das schreckliche Brennen.
    Schließlich landete er spuckend, niesend und zitternd auf den Knien. Als er wieder sehen konnte, bekam er gerade noch mit, wie die Frau, die er angefahren hatte, von der Straße getragen wurde.
    Die Portiers hatten ihre in rote Wolle und Gold-19
    brokat gehüllten Arme so miteinander verschränkt, dass sie eine provisorische Bahre bildeten.
    »Ihr Arschlöcher!«, brüllte sie. »Ich könnte eine Rückgratverletzung haben, Mensch! Ihr dürft mich nicht bewegen!«
    »Hören Sie, junge Frau«, sagte einer der Portiers, ein junger Kerl mit zwei fantastischen Zahn-reihen, für die nur ein egoschwacher Idiot Geld hingelegt hätte. Die Zähne waren so makellos und blendend weiß, dass sie im Licht der Straßenbeleuchtung – Natriumdampflampen – fluoreszier-ten. »Also gut, wir könnten Sie ja wirklich mitten auf der Straße liegen lassen und nicht bewegen, wie es empfohlen wird. Aber wenn wir das tun, wird man Sie wahrscheinlich noch einmal über-fahren, ehe die Sanitäter eintreffen, und dann werden Sie mit Sicherheit eine Rückgratverletzung
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