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Untitled

Titel: Untitled
Autoren: nanu
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durch Asteroidfelder zu navigieren«, er hielt sich ein fiktives Teleskop vors Auge. Ich seufzte. Galileo begegnet Euell Gibbons.
    Ich servierte die letzten Desserts, kehrte zurück in die Küche und schenkte gemeinsam mit Egon Schlichtmaier, einem meiner Helfer aus dem Lehrkörper, die ersten acht Tassen Filterkaffee in schwarz-goldene Porzellantassen. Egon, der in Deutschland g e boren und aufgewachsen war, hatte ein jungenhaft gut aussehendes Gesicht mit dunklem Teint und eine muskulöse Gestalt, die seine Kleidung zu sprengen drohte. Der Schulzeitung war zu entnehmen, dass der neu eingestellte Herr Schlichtmaier zudem äußerst ge ­ bildet war und soeben seine Doktorarbeit über »Form, Fatum und Furore im Faust« beendet hatte. Wie ihm das hel ­ fen sollte, den Oberstufenschülern der High School ame ­ rikanische Geschichte beizubringen, überstieg mein Begriffsvermögen, doch was soll's. Ich erklärte dem athle ­ tischen Herrn Doktor, dass Sahne, Zucker und Süssstoff auf den Tischen stünden, und er sauste mit seinem Tablett, das er wie eine Hantel hielt davon. Unverzüglich schenkte ich acht Tassen koffeinfreien Kaffee in weiß-goldene Porzel ­ lantassen. Ich nahm mein Tablett auf und kam gerade recht ­ zeitig ins Esszimmer, um zu hören, wie der Direktor seinem Publikum erklärte: »...Galaxien in einem Universum der Möglichkeiten.«
    Ich kam an den Tisch, an dem Julian Teller saß, ge ­ wöhnlich meine zweite bezahlte Hilfskraft, und entsetzlich unbehaglich dreinsah. Julian, Schüler der Abschlussklasse der Elk-Park-Schule, war fanatischer Vegetarier und Ge ­ sundheitsapostel. Er war zudem Langstreckenschwimmer und bevorzugte den entsprechenden blonden Bürsten ­ haarschnitt. Seit vier Monaten wohnte er bei Arch und mir und verdiente seinen Lebensunterhalt, indem er für mein Geschäft kochte und servierte. Ebenso wie Greer Dawson war Julian heute Abend wegen des wichtigen Anlasses vom Dienst befreit. Ich hatte versucht, ihn während des Abend ­ essens hin und wieder mit einem verstohlenen Lächeln auf ­ zumuntern. Doch jedes Mal war Julian gerade in eine of ­ fenbar lähmend einseitige Unte r haltung vertieft gewesen. Als ich ihn eben fragen wollte, ob er Kaffee wünsche, be ­ freite er sich von dem Mädchen, das auf ihn einredete, und erhob sich halb.
    »Hast du es dir anders überlegt? Brauchst du Hilfe?«
    Ich schüttelte den Kopf. Aber immerhin war es nett, zu hören, dass er an mich dachte. Angesichts der Platten mit Roastbeef hatte Julian nicht viel zu essen bekommen. Ich hatte angeboten, etwas Tofu bourguignon für ihn mitzubrin ­ gen, das er am Abend vorher in den Kühlschrank gestellt hatte, aber er hatte es abgelehnt.
    Julian setzte sich wieder und drehte sich in dem grauen Zwe i reiher um, den er im Secondhandladen in Aspen Mea ­ dow gekauft hatte. Während er mir beim Einladen des Abendessens geholfen hatte, hatte er mir die Rangfolge der dreissig Schüler der A b schlussklasse aufgezählt. Die meisten kleineren Schulen stellten keine Rangfolge auf, versicherte er mir, aber die Privatschule Elk Park war eben nicht ir ­ gendeine Schule. Alle machten sich darüber lustig, erklärte er, aber die Schulabgänger kannten dennoch den Noten ­ durchschnitt ihrer Mitschüler auswendig. Julian war der zweitbeste seiner Klasse. Doch selbst als Schüler, dem die Au s zeichnung zuteil wurde, die Begrüssungsansprache bei der A b schlussfeier zu halten, würde er neben seinem Grips auch noch etwas Geld brauchen, um seinen Collegeab ­ schluß zu erreichen, wie der abgetragene Anzug deutlich erkennen ließ.
    »Danke für das Angebot«, flüsterte ich zurück. »Die an ­ deren Kannen sind fast durchgelaufen und...«
    Lautes Räuspern rasselte aus den Kehlen zweier irritier ­ ter Eltern.
    »Haben Sie richtigen Kaffee?« fragte Rhoda Marensky und schüttelte den Kopf mit dem gleichmäßig kastanien ­ braunen Haar, das gefärbt war, um die grauen Strähnen zu kaschieren. Sie hatte mir die Bemerkung über Columbia noch nicht verziehen.
    Ich nickte und setzte eine schwarz-goldene Tasse neben ihren Löffel. Ich gebe Leuten, die ohnehin schon gereizt sind, nur ungern Koffein.
    Julian sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Instinktiv machte ich mir Sorgen, wie sein kurzer Bür ­ stenhaarschnitt sich in dem Schneesturm, der draußen tobte, wohl halten würde, oder vielmehr, wie schnell seine Kopfhaut darunter wohl einfrieren würde.
    »Servieren Sie den Kaffee oder träumen Sie nur davon,
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