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Unternehmen Wahnsinn

Unternehmen Wahnsinn

Titel: Unternehmen Wahnsinn
Autoren: Theresia Volk
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den jungen, leider vor allem karrierebraven Leuten: Sie joggen sonntagmorgens für ihre Employability-Fitness und lassen »sich ihre Zähne weiß machen, für einen besseren Aufstieg«. Und was offenbart der Blick auf die Buchführungen der Unternehmen? Eine jede gibt zu, »dass sie nicht mehr weiß, wo der Wert entsteht« usw. Der Fortschritt wird als Synonym für die Katastrophe ausgemacht und denunziert. Die gerade geborenen »Wutbürger« in den Protestbewegungen gegen Bahnhofs-
projekte und Castor-Transporte passen gut zur Atmosphäre und conclusio dieses Pamphlets: »Nie war das Gefühl eines unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruchs so lebhaft.«
    Das Gefühl heißt Wut. Und sie will etwas leidenschaftlich (unter)brechen.
    Unterbrechungen sind immer hart
    Noch zwei Perspektiverweiterungen zum Thema Unterbrechung: Der italienische Kulturminister Sandro Bondi hat im letzten Jahr seinen Besuch bei den Filmfestspielen in Cannes abgesagt, weil er sich durch einen italienischen Dokumentarfilm provoziert fühlte. Es handelte sich um »Draquila«, eine filmische Verknüpfung von »Dracula« und »Aquila«, jenem Abruzzendorf, das am 6. April 2009 von einem verheerenden Erdbeben zerstört wurde. Die Filmemacherin Sabina Guzzanti stellt mit kalter Wut das »System Berlusconi« am Beispiel dieser Katastrophe bloß: Silvio, der die Opfer für seine eigene Machterweiterung immer weiter aussaugt. Am Ende des Films sagt ein Mann, der zeit seines Lebens offen gegen die Zumutungen des Berlusconi-Regimes gekämpft hat: »Bloß weil etwas eine hohle Lüge ist und ein endloser Betrug, heißt das nicht, dass es irgendwann verschwindet!« Oder mit Bert Brecht gesprochen: »Es setzt sich nur so viel Wahrheit durch als wir durchsetzen.«
    Für die Bedeutsamkeit des aktiv herbeigeführten Unterbruchs steht auch die italienische Autorin Michela Murgia. »Glaubst Du wirklich, dass die Dinge, die geschehen sollen, im richtigen Moment von allein geschehen?« Die das fragt, ist eine »Accabadora« aus dem gleichnamigen Roman Murgias. 96 In der kargen Realität des Lebens auf Sardinien in den 1950er-Jahren angesiedelt, wird eine ungewöhnliche Mutter-Tochter-Geschichte erzählt, unerbittlich und streng. Bonaria Urrai, eigentlich Schneiderin, wird bisweilen mitten in der Nacht geweckt, eilt dann aus dem Haus und kommt erst frühmorgens zurück. Sie ist die Accabadora, eine »Beenderin«. Sie wird gerufen, wenn ein Todgeweihter nicht zu sterben vermag. Dann ist sie es, die den Lebensfaden durchschneidet. Naive Schicksalsergebenheit wie sie die Rolle des Pfarrers in so einem Fall vorgibt, erscheint feige angesichts der Not und Notwendigkeit von Erlösung, die sich aber nicht von alleine einstellt.
    Hier geschieht die Unterbrechung zwar nicht aus Wut, sondern aus Barmherzigkeit. Nichtsdestotrotz bleibt sie ein hartes, ein unfassbares Geschehen, das am Rande und im tabuisierten Geheimen angesiedelt ist und das die archaischen Themen Schuld, Scham und Tod berührt, ohne sie rational zu glätten. Es bleibt ein ungeheuerlicher, aggressiver, notwendiger Akt.

    92 Vgl. auch Byung-Chul Han: Müdigkeitsgesellschaft . Matthes & Seitz 2010.
    93 Claus Leggewie/Harald Welzer: Das Ende der Welt, wie wir sie kannten . S. Fischer Verlag 2009.
    94 Alex Steffen (Hg.): World Changing. Das Handbuch der Ideen für eine bessere Zukunft . Knesebeck München 2008.
    95 Unsichtbares Kommitee: Der kommende Aufstand . Nautilus Flugschrift 2010.
    96 Michela Murgia: Accabadora . Wagenbach 2010.

Therapie 5: Zum maßgeblichen Grund finden
    Empfohlen wird u.a.: Maßlosigkeit und Unverhältnismäßigkeit zu unterscheiden; die Frage nach dem richtigen Maß als Zielfrage zu stellen; das eigene Referenzsystem regelmäßig zu checken; wichtig zu nehmen, was einem wichtig ist.
    Es gibt entscheidbare und nicht entscheidbare Fragen
    Sagt Heinz von Foerster. 97 Auf die nicht entscheidbaren Fragen kommt es an, denn genau diese müssen wir entscheiden. Dabei übernehmen wir Verantwortung, das heißt wir müssen auf die Frage antworten können, weshalb wir uns so und nicht anders entschieden haben. »Es ist, wie ich sage«, ist eine Aussage, die verantwortlich macht. »Ich sage, wie es ist«, ist der wissenschaftliche Modus der entscheidbaren Fragen. Bei diesen geht es um die Wahrheit des Es, die ihre Anerkennung und Anstrengung durch Beleg und Argument fordern – bei Ersteren geht es um die Wahrheit des Ich: Wie entscheide ich, wenn sich die Antwort nicht absichern, sondern nur
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