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Unternehmen Vendetta

Unternehmen Vendetta

Titel: Unternehmen Vendetta
Autoren: Jan Guillou
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Hörsaal führte und ihnen befahl, sich zu setzen. Vor jedem Platz lagen ein Stapel Papier und ein paar Bleistifte. Am unteren Ende des Saals stand eine Gruppe von Ausbildern, die sie noch nicht gesehen hatten. Einer von ihnen betrat das Rednerpult und sah sich entzückt um.
    »Gentlemen, willkommen bei unserem Kurs in kreativem Schreiben«, begann er. Die Männer im Saal, zumindest diejenigen, die noch die Kraft hatten, Reaktionen zu zeigen, sahen sich wild fragend um, als wollten sie sich vergewissern, daß auch die anderen die Worte gehört hatten, daß sie nicht plötzlich verrückt geworden waren.
    »Ich habe hier ein paar Themen für Sie, von denen Sie sich eins aussuchen können, um einen Aufsatz darüber zu schreiben«, fuhr der Ausbilder fröhlich fort. »Beschreiben Sie etwa Ihre letzten Augenblicke in Ihrem Leben als Languste. In wenigen Sekunden werden Sie in einen Topf mit kochendem Wasser geworfen. Oder: Sie sind ein betrunkener Wikinger auf einem Fest, und plötzlich macht sich ein noch betrunkenerer Wikinger über Ihr Mädchen her. Oder: Sie sind eine Fliege, die zwar tödlich getroffen wird, aber nicht von einer Fliegenklatsche. Oder: Sie bürsten sich die Zähne und müssen plötzlich entdecken, daß Sie sich auf einem fremden Planeten wiederfinden. So, und jetzt schreiben Sie, verdammt noch mal!«
    Die meisten saßen wie gelähmt da, doch da kamen ein paar Ausbilder vom Strand herein und begannen mit Eiswürfeln in Eimern herumzugehen, aus denen sie denen, die noch nicht mit dem Schreiben begonnen hatten, ganze Fäuste voll Würfel in die Uniformhemden steckten.
    Die Klimaanlage war ausgeschaltet worden. Es war Juni, und es saßen etwa fünfzig Mann dicht gedrängt an ihren Schreibpulten. Kurze Zeit dampfte es im Saal vor Körpergeruch und Salzwasser.
    Einige schienen tatsächlich schon mit dem Schreiben begonnen zu haben.
    Luigi erinnerte sich nur daran, daß es bei einem der Themen um einen Hummer oder einen Krebs ging, der kurz davor stand, in einem Topf mit kochendem Wasser zu landen. Luigi konzentrierte sich darauf, das Thema nicht zu vergessen, begann jedoch erst zu schreiben, als er eine ganze Schaufel voll Eiswürfel ins Hemd bekam. Er wollte das Eis haben, um die Hitze im Gesicht zu lindern, obwohl sein Körper von der Kälte des Seewassers noch ganz starr war.
    Er fuhr sich mit einer Faust voller Eisstückchen über Stirn und Augen und zwang sich, so gut es ging, nicht die Augen zu schließen. Er fürchtete, dann sofort einzuschlafen.
    Er riß ein paar Augenblicke lang mit aller Kraft die Augen auf und sah plötzlich wie durch flirrende Hitze in der Wüste ganz klar. Er blickte hinunter zu den Besuchern, die vielsagend lächelten.
    Bis auf einen trugen sie da unten alle die weiße Uniform der Marine. Dieser eine hatte einen dunkelblauen Pullover mit den Rangabzeichen eines Fregattenkapitäns auf den Schulterstücken. Er war barhäuptig und sah aus, als suchte er mit den Blicken etwas oder jemanden. Er trug die schmalen goldenen Schwingen von SEAL, ein Abzeichen, das nur wenigen bekannt war. Er war also einer von denen, die die Hell Week fünfmal absolviert hatten.
    »Ich bin ein Hummer und stehe vor den entscheidenden Augenblicken meines Lebens«, schrieb Luigi. Dann betrachtete er lange die Worte, die er hingeschrieben hatte, spürte, wie die Augen sich zu schließen begannen und wie sein Kopf auf dem Weg nach unten war. Er rieb sich erneut mit dem schmelzenden Eis das Gesicht ein und betrachtete wieder die Buchstaben, die ihm vor den Augen flimmerten. Er hatte auf italienisch geschrieben.
    I’m a fucking lobster in one of my life’s most decisive moments, zwang er sich zu schreiben. Er versuchte, sich einen riesigen Topf mit kochendem Wasser vorzustellen, versuchte sich auszumalen, wie er zusammen mit sieben Kameraden in einem Schlauchboot lag. Das Schlauchboot wurde plötzlich von der Hand eines Riesen gepackt, der sie hinausschütteln und dem Tod überantworten wollte. Mehrere Männer um ihn herum waren mit dem Bleistift in der Hand eingeschlafen, und diesmal wurden sie nicht geweckt und gezwungen weiterzuschreiben. Die Ausbilder schleppten sie einfach hinaus. Vielleicht waren sie jetzt aus dem Rennen.
    »Als Hummer ist es mir vollkommen scheißegal, ob ich sterbe oder einschlafe«, fuhr Luigi fort. Er starrte eine Weile auf die Buchstaben, um zu sehen, welche Sprache es war. Er verstand, was er geschrieben hatte, konnte aber nicht entscheiden, in welcher Sprache er geschrieben
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