Unterm Kirschbaum
Lage.
»Ich denke, du hasst unseren Finanzsenator?«, warf ihm Heike an den Kopf.
»Ja, wie fast die ganze Stadt: wegen seines Sarrazynismus.« Was er meinte, war der stadtbekannte Zynismus des Finanzsenators, Theo Sarrazin ( SP D) , der einmal von sich gegeben hatte, die Berliner Eltern sollten sich wegen der Erhöhung der Kita-Gebühren nicht so aufregen, schließlich wolle er ihre Kinder nicht ins KZ schicken.
»Und dennoch machst du Sarrazin eine große Freude, indem du im Falle Klütz ehrenamtlich das erledigst, wofür eigentlich seine bezahlten Beamten zuständig sind.«
»Ich will meine Pension nicht geschenkt bekommen, ich will sie mir verdienen«, sagte Mannhardt.
Sein Enkel schüttelte den Kopf. »Die hast du dir während deiner 40 Jahre im öffentlichen Dienst längst verdient.«
»Da habe ich ja das Geld geschenkt bekommen, das heißt, ich hätte wegen des Spaßes, den ich bei der Verbrecherjagd hatte, eigentlich jeden Monat etwas in die Staatskasse einzahlen müssen.«
Heike ermahnte die beiden Männer, zum Thema zurückzukommen. »Was wollt ihr denn nun weiter unternehmen, um die Frage aller Fragen zu klären: War es Klütz oder war es Wiederschein oder Wiederschein zusammen mit seiner Frau?«
Orlando Drewisch lachte. »In jedem besseren Krimi ist es immer einer, an den vorher keiner gedacht hat.«
»Das Leben ist kein Krimi, den sich ein Schreiberling am Computer ausgedacht hat«, sagte Mannhardt.
»Willst du deinen vergötterten Fontane auch als Schreiberling abtun?«, rief sein Enkel.
Heike ignorierte das Geplänkel. »Wie soll es denn nun weitergehen?«
Mannhardt sah auf seinen Notizzettel. »Erst einmal wollen wir mit Sandra Schulz reden, vielleicht hat die irgendeine Erleuchtung. Dann mit dem sehr verunehrten Kollegen Schneeganß, ob der nicht offiziell mitspielen will. Auch die Psychologin, die Klütz im Knast betreut hat, könnte uns weiterhelfen, eine gewisse Margrit Minder-Cerkez. Und schließlich wollen wir an die Oder, nach Kyritz, um zwei von Wiederscheins Leuten aus dem ›à la world-carte‹ zu befragen, die sollen dort ein Restaurant aufgemacht haben.«
»Opa, du redest etwas wirr«, sagte Orlando. »Kyritz liegt nicht an der Oder, sondern an der Knatter …«
»Nein, an der Jäglitz«, korrigierte ihn Mannhardt.
»Meinetwegen auch an der Jäglitz, auf keinen Fall aber an der Oder. Was du gemeint hast, war Kienitz.«
»Man wird sich ja mal versprechen dürfen. Kienitz ist ein Ortsteil von Letschin – und da hat Fontane einst gelebt und gearbeitet.«
»Ja, unterm Birnbaum! Wow!« Orlando riss die Arme hoch.
*
Sandra Schulz fanden sie in der alten Schulz’schen Villa in Wannsee. Sie war in zweiter Ehe mit einem Architekten verheiratet und zeigte keine große Lust, über die alten Zeiten zu reden.
»Wenn Klütz wirklich fast zehn Jahre unschuldig im Gefängnis gesessen hat, dann …« Mannhardt zielte auf ihr Mitleid ab.
»Unschuldig?«, fragte Sandra Schulz. »Wieso unschuldig: Er hat schließlich ein umfassendes Geständnis abgelegt.«
»Das tun viele Menschen«, sagte Mannhardt. »Denken Sie nur an den Mord an Martin Luther King. James Earl Ray hat gestanden, es gewesen zu sein, aber lesen Sie mal das Buch von William F. Pepper, dann wissen Sie, dass er es kaum gewesen sein kann.«
»Kommen Sie mir nicht mit dem Märchen von der Mafia, die Schulz erledigt hat und Klütz für sein Geständnis mit einigen Millionen belohnen wird, wenn er wieder draußen ist!«, rief Sandra Schulz.
»Sie waren mit Klütz eng liiert, Sie müssten doch eine Ahnung davon haben, ob er zu einer solchen Tat überhaupt fähig war, beziehungsweise was ihn dazu getrieben haben könnte, ein falsches Geständnis abzulegen.«
Sandra Schulz wich ihm aus. »Das ist alles schon zu lange her, und ich habe mir vorgenommen, alles zu vergessen. Mein erster Mann ist tot, ich lebe mit meinem zweiten glücklich und zufrieden, habe jetzt neben meiner Firma auch noch zwei reizende Kinder …«
Orlando grinste. »Also war es eigentlich ein Glück für Sie, dass Schulz …«
Sie fuhr auf. »Was soll das?«
Mannhardt winkte ab. »Sie haben ja Ihr Alibi für die Tatzeit, ich weiß: Mailand.« Er fragte sich aber, ob das damals wirklich jemand richtig abgecheckt hatte.
Sandra Schulz wollte zum Ende kommen. »Ich gebe also hiermit zu Protokoll: Ja, ich glaube, dass Karsten Klütz damals meinen Mann getötet hat, und dafür, dass er sich jetzt als Unschuldsengel hinstellt, fehlt mir jede
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