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Unter Trümmern

Unter Trümmern

Titel: Unter Trümmern
Autoren: J Heimbach
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Hafner weiter.
    „Da vorne.“
    Koch konnte nicht mehr.
    Siggi setzte ihn auf einen Holzblock und trieb Hafner zu der Stelle, die er gerade benannt hatte. Koch konzentrierte sich, ahnte mehr, dass Siggi sich bückte und eine Bodentür öffnete und „Frau Becker!“ rief.
    „Bleib wach!“, forderte Koch sich auf. Er bewegte seine Schulter, damit der Schmerz ihn wach hielt. Es war kaum mehr auszuhalten.
    Er vernahm etwas, das wie „Danke!“ klang, ein Scheppern, darauf Schritte, wie von ganz weit weg, als wäre er von Watte umgeben, ein Schluchzen und einen Druck. Und dann wurde ihm schwarz vor Augen.

17. Juli – 21. September 1946
    XIX
    Dorle saß an ihrem Küchentisch und starrte auf die Wand gegenüber. Ihr Fuß war bandagiert. In der Halle hatte sie noch einen kurzen Blick auf den verletzten Kommissar werfen können. Jemand zog sie nach draußen, während sich ein Arzt um den Verletzten kümmerte. Zum Glück war ihr Fuß nicht gebrochen, aber stark geschwollen und er schmerzte sehr. Der Assistent des Kommissars hatte sie nach Haus gefahren, wo kurz darauf Franzi erschien, die auf der einen Seite glücklich war, dass ihre Freundin bis auf die Fußverletzung wohlbehalten vor ihr saß, auf der anderen Seite mit ihr schimpfte, weil sie das Haus gegen ihre Abmachung verlassen und damit sich und letztlich auch den Kommissar in Gefahr gebracht hatte.
    Es hätte der letzten Bemerkung nicht bedurft. Dorle hatte ohnehin schon ein schlechtes Gewissen.
    Von Siggi hatte sie auf der Fahrt zu ihrem Haus eine Kurzversion der Geschehnisse vor Stadecken erfahren. Ihr war in der Hauptsache im Gedächtnis geblieben, dass bei dem Überfall zwei Menschen ums Leben gekommen waren und der Kommissar eine schwere Schussverletzung erlitten hatte. Die wäre vielleicht nicht sehr bedrohlich gewesen, hätte er sich gleich in ärztliche Behandlung begeben. Aber weil er es sich in den Kopf gesetzt hatte, sie aus den Händen dieser Verbrecher zu befreien, hatte er so viel Blut verloren, dass die Ärzte drei Tage nach dem Überfall immer noch nicht wussten, ob er durchkommen würde.
    Wie einen Film ließ sie die Minuten in der Halle, als sie den Mann zum letzten Mal gesehen hatte, vor ihren Augen ablaufen. Wie die Luke geöffnet wurde und sie zu der Stelle rannte, aber nichts sehen konnte, weil das Licht sie blendete, nach den Stunden in fast völliger Dunkelheit. Aber sie hörte das vorsichtige, unsichere „Frau Becker“ und hatte schließlich das junge Gesicht über ihr erkannt.
    „Ja“, antwortete sie verhalten.
    „Hier!“, rief die Stimme zurück. Sie nahm eine Hand, die sich ihr entgegenstreckte, aber sie zögerte, wusste nicht, ob das eine Falle war, irgendeine Art von gemeiner Folter. Dennoch griff sie nach der dargebotenen Hand und ließ sich die schmale Treppe aus dem dunklen Verlies nach oben führen. Düster war es, denn, wie sie später erfuhr, war ein schweres Gewitter an diesem Mittag über Rheinhessen gezogen. Ein anderer Mann, gefesselt, stand neben ihrem Retter. Sie wollte einfach nur raus aus diesem Raum, in dem es nach trockenem Staub roch. Sie ließ die Hand los und eilte dahin, wo sie den Eingang vermutete. Aber da sah sie ihn, neben einem Holzbock liegen, auf dem Boden. Sie lief die wenigen Meter, kniete neben ihm nieder.
    Er war blass, sein Hemd voller Blut.
    „Ein Arzt! Er braucht einen Arzt.“
    Siggi stand neben ihr, wusste nicht, was er machen sollte.
    In dem Moment war draußen das Quietschen bremsender Autoreifen zu hören.
    Ein französischer Offizier stürmte in die Halle, einen Koffer in der Hand, hinter sich zwei Unteroffiziere. Mit einer Handbewegung scheuchte er Siggi und Dorle weg und beugte sich über den Schwerverletzten.
    Andere Männer folgten, zwei von ihnen packten den gefesselten Hafner und schleppten ihn unsanft aus der Halle. Jemand führte Siggi und Dorle aus der Halle, während ein Militärarzt sich um Koch kümmerte.
    Gerne hätte sie jetzt im Krankenhaus an seiner Seite gesessen, aber ihr schlechtes Gewissen war stärker. All das, vor dem sie sich gefürchtet hatte, als sie in Colonel Jarrés’ Haus Brunners Auftrag ausgeführt hatte, um ihm bei seinem Überfall zu helfen, war eingetreten. Sie war mitschuldig an dem Tod von Menschen und an der schweren Verletzung des Kommissars.
    Es klopfte an ihr Tor. Langsam und träge stand sie auf.
    „Ja?“, fragte sie. Sie fürchtete sich noch immer vor Neuberts Rache, den sie seit ihrer Begegnung auf dem Friedhof nicht mehr gesehen
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