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Unter Freunden

Unter Freunden

Titel: Unter Freunden
Autoren: Amos Oz
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einer Ecke des Clubraums stand, und er legte einen Moment lang seine schwere Hand auf ihre. Osnats Hand war zart und langfingrig, und man sah noch immer den helleren Streifen, den ihr Ehering hinterlassen hatte. Sie hatte ihn abgenommen, nachdemBoas sie verlassen hatte. Sie zog ihre Hand unter der von Martin hervor und legte sie auf seine mit den bläulich schimmernden Fingernägeln. So saßen sie schweigend beisammen, ihre Hand auf seiner, bis nach einigen Minuten die Tür aufging und Zvi Provisor hereinkam. Er murmelte guten Abend und setzte sich schweigend in die Ecke neben das Radio, das gebräunte, zerfurchte Gesicht vornübergeneigt und den Blick zu den Knien gesenkt. Martin sagte ein paar lobende Worte zu Zvi, über die Grünanlagen des Kibbuz, und Osnat fügte hinzu: »Mir gefallen die Weinlauben besonders gut und der Springbrunnen mit den Goldfischen, den du vor dem Speisesaal gebaut hast. Du hast den Kibbuz Jikhat zu einem Ort gemacht, in dem man sich gerne aufhält.«
    Zvi bedankte sich und sagte, das Problem sei, dass es bei uns einige junge Leute gebe, die eine Abkürzung nehmen und nach dem Bewässern über den Rasen laufen würden, und damit würden sie den Rasen zertreten. Gerade als er das sagte, betrat Mosche Jaschar den Clubraum und fragte höflich, ob der Unterricht nur für Kibbuzmitglieder sei oder auch für Schüler von außen, die im Kibbuz wohnten.
    Martin erwiderte: »Bei uns gibt es keine Grenzen und Ausgrenzungen. Wir sind prinzipiell gegen Grenzen.« Er hustete und eröffnete dann den Unterricht mit einer kurzen Erklärung: »Wenn alle Menschen eine gemeinsame Sprache sprechen, gibt es keine Kriege mehr, denn die gemeinsame Sprache wird Missverständnisse zwischen den Einzelnen und auch zwischen den Völkern verhindern.«
    Zvi Provisor bemerkte, dass die Deutschen und die deutschen Juden dieselbe Sprache gesprochen hätten, und das habe die Verfolgung und Ermordung nicht verhindert.
    Mosche Jaschar hob zögernd die Hand, und als Martin ihm die Erlaubnis zu sprechen gab, führte er an, dass auch Kain und Abel vermutlich dieselbe Sprache gesprochen hätten.
    Martin fragte ihn, warum er dann eigentlich gekommen sei, um Esperanto zu lernen. Darauf wusste der Junge nicht so schnell eine Antwort. Schließlich murmelte er scheu, Esperanto zu lernen könne ihm später vielleicht helfen, andere Sprachen zu lernen.
    Martin rauchte eine halbe Zigarette, keuchte und erklärte, Esperanto habe ungefähr achttausend Wortstämme, nicht mehr, und aus diesen Wortstämmen erwachse der gesamte notwendige Wortschatz. Die Wortstämme selbst seien dem Griechischen, dem Lateinischen und den romanischen Sprachen entlehnt. Es gebe sechzehn Grammatikregeln und prinzipiell keine Ausnahmen. Zum Schluss der ersten Unterrichtsstunde, die fünfundzwanzig Minuten dauerte, lehrte Martin seine Schüler, wie auf Esperanto der erste Satz der Genesis hieß: En la komenco – Im Anfang, Dio kreis la ĉielon kaj la teron – schuf Gott den Himmel und die Erde.
    Zvi Provisor, der in seiner freien Zeit den polnischen Schriftsteller Iwaszkiewicz ins Hebräische übersetzte, dachte kurz nach und verkündete, Esperanto scheine wirklich leicht und logisch zu sein und die Sprache höre sich für ihn ein bisschen wie Spanisch an. Mosche Jaschar notierte alles in ein Heft. Martin sagte, es seien die unklaren Wörter, die überall die Beziehung zwischen den Menschen vergifteten, und klare, eindeutige und wohlklingende Wörter könnten diese Beziehung heilen, unter der Bedingung, dass es eine allen gemeinsame Sprache mit solchen richtigen Wörtern gebe. Mosche Jaschar sagte keinen Ton, aber insgeheim dachte er, dass das Leid in der Welt noch vor den Worten geboren worden war. Als Martin im Weiteren noch den Ausdruck »kompromisslos« verwendete, dachte Mosche, dass Martins Entscheidung, immer wieder eine halbe Zigarette zu rauchen und nicht eine ganze, eigentlich auch eine Art Kompromiss war.
    Nach dem Unterricht begleitete Osnat Martin mit seinem Kinderwagen, auf dem der Sauerstoffballon lag, nach Hause zurück. Er war sehr müde, sein Körper tat ihm weh, und sein Atem ging so schwer, dass er beschloss, auf die halbe Zigarette zu verzichten, die er eigentlich am Abend hatte rauchen wollen. Nur mit Mühe ließ er sich dazu überreden, etwas Joghurt zu essen, und dann half ihm Osnat, die Schuhe auszuziehen und sich aufs Bett zu setzen, an einige Kissen gelehnt, und auf den Schlaf zu warten, der vielleicht kommen würde. Sie spielte ihm
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