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Unter Freunden

Unter Freunden

Titel: Unter Freunden
Autoren: Amos Oz
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menschliche Natur ändert sich nicht, und die ist alles andere als einfach. Neid und Kleinlichkeit und Engstirnigkeit kann man nicht ein für alle Mal mit einer Abstimmung oder einem Beschluss aus der Welt schaffen.
    Sie spülte das Glas ab, aus dem sie getrunken hatte,und stellte es umgedreht zum Trocknen hin, zog sich aus und legte sich schlafen. Zwischen ihrem und Martins Bett gab es nur eine dünne Wand, und sie wusste, wenn er nachts anfing zu husten oder zu keuchen, würde sie sofort aufwachen, ihren Morgenmantel anziehen und ihm zu Hilfe eilen. Sie hatte einen sehr leichten Schlaf. Ihre Ohren nahmen jedes Hundebellen in der Dunkelheit wahr, jeden Ruf eines Nachtvogels, jedes Rauschen des Windes. Aber die Nacht ging ruhig vorbei, nur der Wind strich durch die Wipfel der Ficusbäume. Gegen Morgen lag Tau auf den Rasenflächen, und im Mondlicht glitzerten die Tautropfen wie blasses Silber.
    Vor sechs wurde Osnat von den Tauben geweckt, sie stand auf, wusch sich, zog sich an, klopfte an Martins Tür, erkundigte sich, wie es ihm ging, nahm das Tablett von gestern von den Terrassenstufen und ging zur Arbeit in der Wäscherei. Martin stand schwerfällig auf, zog sich langsam an, schnaufte vor Anstrengung, als er sich bückte, um die Schuhe anzuziehen, trank Wasser und ging zur Schusterei, wobei er den kleinen Ballon mit dem Sauerstoff in einem alten Kinderwagen vor sich herschob, den ihm der Gesundheitsausschuss zugebilligt hatte. Er ging langsam und zog die Füße nach, weil er sokurzatmig war, besonders den Hang hinauf. Neben dessen Werkstatt traf er Nachum Ascherow, den Elektriker, und beide unterhielten sich eine Weile über Politik und die Regierung von Ben Gurion. Nachum sagte zu Martin, diese Regierung fordere mit den Vergeltungsaktionen die ganze Welt heraus, und Martin antwortete, Regierungen seien alle, ohne jede Ausnahme, vollkommen überflüssig, und unsere Regierung sei doppelt überflüssig, weil die Juden der Welt schon gezeigt hätten, wie ein Volk zweitausend Jahre lang ohne jede Regierung habe leben können, und zwar ein blühendes geistiges und kulturelles Leben. Während sie sich unterhielten, zündete Martin eine halbe Zigarette an, nahm aber nicht mehr als zwei Züge, weil er einen Hustenkrampf bekam. Er machte die Zigarette aus und steckte den Stummel in die Tasche.
    Nachum Ascherow sagte: »Hör auf zu rauchen, Martin. Es ist dir verboten zu rauchen.«
    »Es ist uns verboten, dass einer dem anderen sagt, was er darf und was nicht«, antwortete Martin. »Wir sind alle frei geboren, aber wir legen aus freien Stücken einer dem anderen Fesseln an.«
    »Schließlich müssen wir uns einer um den anderen kümmern«, bemerkte Nachum traurig.
    Martin lächelte mit zusammengepressten Lippen. »Es ist in Ordnung, Nachum. Du musst mich wirklich ermahnen, und ich muss wirklich rauchen. Jeder von uns tut, was er tun muss, es ist in Ordnung.«
    In der Schusterei, umhüllt von den scharfen Gerüchen von Leder und Leim, setzte sich Martin auf den Korbschemel, er legte den Sauerstoffballon auf die Kiste neben sich und setzte die Maske auf. Dann nahm er das scharfe Schustermesser und schnitt sorgfältig eine linke Sohle aus einem Lederstreifen, entlang der Bleistiftlinie, mit der er die Umrisse vorher aufgemalt hatte. Vor ihm auf dem Fußboden stand eine kleine Flasche mit lauwarmem Wasser, und von Zeit zu Zeit schob er die Maske hoch und trank zwei, drei Schlucke. Die Arbeit, sagte er sich, gibt jedem von uns die Einfachheit und Reinheit unserer frühen Kindheit zurück. Eine alte Melodie kam ihm in den Sinn, die Hymne der republikanischen Kämpfer aus der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs, und Martin summte sie leise vor sich hin.
    Kurz nach acht Uhr morgens betrat Joav Karni, der Kibbuzsekretär, die Schusterei und sagte: »Ich bin gekommen, um dich ein paar Minuten lang zu stören. Wir müssen miteinander sprechen.«
    Martin sagte: »Setz dich, junger Mann.« Er nahmden Sauerstoffballon von der Kiste und stellte ihn vor sich auf den Boden. Dann sagte er: »Hier gibt es sonst keinen Platz, setz dich auf diese Kiste.«
    Joav nahm Platz, und Martin entschuldigte sich, dass er ihm keinen Kaffee anbieten konnte. Joav dankte ihm und sagte, das sei auch nicht nötig. In Martins Augen war Joav ein gradliniger, moralischer, bescheidener junger Mann, aber wie alle in seiner Generation ohne klare weltanschauliche Haltung. Es waren alles gute junge Männer, davon war Martin überzeugt, alle waren vernünftig und zu
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