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Unter Deutschen

Unter Deutschen

Titel: Unter Deutschen
Autoren: J Kennedy
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seines deutschen Reiseberichts, der damals in keiner Zeitung erschien und erst posthum zugänglich gemacht wurde, spricht Kennedy über Hitlers »Mysterium«. Der Abschnitt, mit dem seine Aufzeichnungen enden, lautet im englischen Original wie folgt: »within a few years Hitler will emerge from the hatred that surrounds him now as one of the most significant figures who ever lived. He had boundless ambition for his country which rendered him a menace to the peace of the world, but he had a mystery about him in the way that he lived and in the manner of his death that will live and grow after him. He had in him the stuff of which legends are made.« (»aus dem Hass, der ihn jetzt umgibt, wird Hitler in einigen Jahren hervortretenals eine der bedeutendsten Persönlichkeiten, die je gelebt haben. Sein grenzenloser Ehrgeiz für sein Land machte ihn zu einer Bedrohung für den Frieden in der Welt, doch er hatte etwas Geheimnisvolles, in seiner Weise zu leben und in seiner Art zu sterben, das ihn überdauern und das weiter gedeihen wird. Er war aus dem Stoff, aus dem Legenden sind.«)
    Der letzte Satz erinnert verwirrenderweise an die berühmten Verse aus Shakespeares »Der Sturm«: »We are such stuff / As dreams are made on«. Zumal Prosperos Worte in eine Ahnung des Todes übergehen: »and our little life / Is rounded with a sleep.« (»Wir sind aus solchem Stoff wie Träume sind, und unser kleines Leben wird von einem Schlaf umringt.«)
    Kennedys Text entstand unter dem Eindruck des verrufenen Ortes: In der persönlichen Residenz des »Führers«, vor einer erhabenen Natur, kommt hier ein zwielichtiger Zauber zum Ausdruck. Die Aufzeichnungen des späteren Präsidenten zeugen von einem Phänomen, das Susan Sontag als »Fascinating Fascism« (1974) beschrieben hat: eine ästhetische Anziehungskraft, die der Faschismus auch auf Menschen ausüben kann, die politisch selbst keine Nazis sind.
    Berchtesgaden, den Ort, den Gasthof und die Umgebung bezeichnet der ausländische Besucher dreifach als »schön«, Hitlers »Adlerhorst« als »berühmt« und »klug getarnt«. Überhaupt beschreibt Kennedy seine Eindrücke vom besiegten Deutschland mit auffällig vielen positiven Attributen: Aus dem Flugzeug sieht das Land »friedlich« aus. Der Kleine Wannsee ist »schön« und »wunderbar«, eine Villa »hübsch eingerichtet«. Die Versorgung während der Luftangriffe war »überaus gutorganisiert«, die U-Boot-Produktion »gigantisch«, die Konstruktion einer Werft »äußerst intelligent«, ein Bunker ein »Meisterwerk«. Deutsche Boote hält er für »überlegen«, »besser«, »sicherer«, »günstiger«. Die Deutschen, stellt er fest, hätten eine »Passion für Genauigkeit«, sie seien »gute Arbeiter«. Einige Frauen findet er »sehr attraktiv«.
    Der Begriff »significant«, den Kennedy gebraucht, um Hitlers historische »Bedeutung« zu bestimmen, enthält an sich zwar keine moralische Wertung. Er ist ambivalent, auslegbar. Aber die Formulierung, Hitler werde aus dem gegenwärtigen »Hass« innerhalb weniger Jahre »hervortreten« und dann offenbar neu bewertet werden, ist irreführend und mindestens missverständlich. Die Konjunktion »aber«, die das vermeintliche »Mysterium« der tatsächlichen Kriegsschuld entgegensetzt, droht diese zu vernebeln.
    Nur an einer Stelle kommen die deutschen Verbrechen in Kennedys Text ausdrücklich vor: als die Frau, die er befragt, das Wort »Konzentrationslager« ausspricht. Aber als von Adolf Hitler die Rede ist, spielen sie keine Rolle – oder sie werden allenfalls angedeutet. Kennedys Text zeugt von der schwierigen Auseinandersetzung mit einer düsteren Faszination. Für seinen Verfasser wie für seine Leser endet er mit einem Rätsel.
1963 – Rückkehr
    Zurück in Boston, hält Kennedy bei der Veteranen-Organisation American Legion am 11. September 1945 seinen ersten öffentlichen politischen Vortrag (der am selben Tag im Radio gesendet wird). Erspricht über England, Irland und Deutschland als »Sieger, Neutrale und Besiegte«, indem er auf der Grundlage seiner Aufzeichnungen vom Sommer die Erkenntnisse der zurückliegenden Reise zusammenfasst – und zwar mit einem Blick in die Zukunft:
    »Berlin ist heute eine ausgebrannte Ruine. Seine Zerstörung übertrifft alles, was ich mir vorgestellt hatte. Die Gebäude, die überhaupt noch stehen, sind bloße Hüllen, und wo die drei Millionen Menschen, die in Berlin geblieben sind, leben, ist ein Rätsel. Die Straßen sind voll von
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