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Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)

Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)

Titel: Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
Autoren: Reimund J. Dierichs
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stehen ließ. Als er auf seinem Fahrrad saß, fiel ihm ein, dass er sie nicht nach der Praxisadresse gefragt hatte, aber die konnte er auch über das Internet in Erfahrung bringen, um dann seinem Kollegen die Recherche zu überlassen. Er hatte sein Soll für heute erfüllt.

    3

    Jedes Mal, wenn Leng das Polizeipräsidium betrat, überkam ihn ein merkwürdiges Gefühl. Es war nun beileibe nicht so, dass er sich zurücksehnte nach dem Asbest verseuchten Betonklotz in der Innenstadt, aber die neue Unterkunft in Kalk wirkte auf ihn seltsam kalt und abweisend. Dabei hatte sich der Architekt richtig ins Zeug g elegt. Es gab viel Glas, die Gebäudeteile hatten eine unterschiedliche Höhe, und bei der Wahl der Platten für die Außenfassade waren warme Erdtöne in Lehm und Rot ausgesucht worden. Trotzdem wirkte der Komplex auf den Hauptkommissar weder harmonisch noch einladend. Das Rot erinnerte an einen Schutzanstrich gegen Rost und ließ seine neue Arbeitsstätte aussehen, als würde sie sich noch in der Fertigungsphase befinden, und der gallegrüne Turm mit dem Eingangsbereich sah nicht nur wegen der Mauersockel, für die ihm keine Erklärung einfiel, wie ein Taubenschlag aus. Er wunderte sich deshalb auch darüber, dass noch keine dieser Plagegeister, die stets unangenehme Kotteppiche hinterließen, hier ihr Quartier bezogen hatten.
    Maria Dräubler strahlte ü bers ganze Gesicht, als ihr Vorgesetzter den Raum betrat, wobei sie eine Reihe ebenmäßiger weißer Zähne freilegte, die alle noch echt waren, wie sie gerne jedem erzählte, der sie darauf ansprach. Ihr halb langes Haar dagegen zeigte deutlichere Gebrauchsspuren. Es war im Laufe von vielen Jahren durch permanente Dauerwellenbehandlungen und Farbbeigaben merklich dünner geworden, weshalb sie es jetzt glatt trug. Auf die Färbung hatte sie jedoch nicht verzichten wollen. Ein bisschen Eitelkeit musste erlaubt sein, denn schließlich verfügte sie über ein hübsches Gesicht, das durch den passenden Rahmen noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zog. Außerdem besaß sie einen scharfen, analytischen Verstand.
    Auf der Hypothekenseite standen dem allerdings eine Trude- Herr-Figur (wie die bekannte Schauspielerin auch mit der Tendenz, Pullover eher eine Nummer zu klein zu kaufen) und ein Hang zur Selbstdarstellung gegenüber. Letzterer mochte daher rühren, dass Maria ausgebildete Opernsängerin und Schauspielerin war, ein Multitalent, dessen Begabungen, von einigen Engagements in der Kleinstkunstszene und einer Nebenrolle in einer RTL-Serie abgesehen, nicht gewürdigt wurden. Die Hauptursache dafür lag wohl in der Tatsache begründet, dass sie zwar sehr wandlungsfähig war, aber kein Chamäleon sein wollte, das sich widerspruchslos jeder Rolle und jedem Regisseur unterordnete. „Ich mache wirklich jeden Scheißjob, um mich über Wasser zu halten“, verkündete sie nicht ohne Stolz, „aber ich gebe mich nicht für Mist her in einem Metier, an dem mein Herz hängt. Wenn ich mich da korrumpieren lasse, bin ich als Künstlerin nicht mehr glaubwürdig und kann mich selbst nicht mehr im Spiegel anschauen.“
    Maria war erst vor vier Jahren in den Polizeidienst eingetreten, nachdem sie sich eingestanden hatte, dass ihr Traumberuf nicht einmal genug einbrachte, um davon ihre laufenden Kosten zu decken. Sie wusste aber auch, dass es für Menschen über vierzig ohne Berufserfahrung schwierig sein würde, Arbeit zu finden. Also hatte sie sich nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen, einen Teil ihrer Ersparnisse, die als Notgroschen gedacht waren, zu opfern und in eine Ausbildung zu investieren. An einer Fernuniversität belegte sie die Fächer Psychologie, S oziologie und Wirtschaftswissenschaften und hoffte, so gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Sie wollte ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen und gleichzeitig etwas für ihr Selbstwertgefühl tun.
    Vor über zwanzig Jahren hatte sie ihr Studium abgebrochen. Seitdem verfolgte sie der Gedanke, dass nichts in ihrem Leben wirklich gelänge, zumal ihre jüngere Schwester und ihr älterer Bruder ihren Universitätsabschluss mit summa cum laude bestanden hatten. Nach drei Jahren an der Fernuniversität Hagen schaffte sie ihren Bachelor mit Bestnoten und hatte damit den ersten Teil ihres Plans verwirklicht. Was allerdings die Berufsaussichten anging, so gab es auch weiterhin dunkle Wolken am Horizont. Wo immer sie sich als wissenschaftliche Hilfskraft bewarb, wurde ihr auf dezente, aber nicht minder
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