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Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)

Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)

Titel: Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
Autoren: Reimund J. Dierichs
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den langen Flur des Jugendstilhauses, der viel eher an eine Eingangshalle erinnerte. Als er vor achtzehn Jahren als junger Bereitschaftspolizist von nicht einmal dreißig Jahren hier eingezogen war, hatte er den Ornamenten an den Wänden und dem Stuck an der Decke kaum Beachtung geschenkt. Inzwischen hatte er aber so viele Tatorte in abscheulichen Häusern aufsuchen müssen, dass er diese Üppigkeit zu schätzen wusste. Vor allem dann, wenn er sich den ganzen Tag über in diesem überaus grässlichen, neuen Verwaltungsgebäude aufhielt, das sie vor zwei Jahren bezogen hatten.
    Er betrat die Wohnung, die ihm seit dem Tode von Vera, seiner Frau, viel zu groß erschien. Deshalb war er einige Male fast so weit gewesen, einen Umzug zu erwägen. Alle Zimmer, von seinem Arbeitszimmer einmal abgesehen, trugen ihre Handschrift und erinnerten ihn auf Tritt und Schritt an sie.
    Er zog seine anthrazitfarbene Goretex-Jacke aus und hängte sie an die Garderobe. Dann ging er ins Bad, zog sein Hemd aus der Hose und knöpfte es auf. Achtlos warf er es über die Lehne eines Weichholzstuhls, der neben dem Toilettensitz einzigen Sitzmöglichkeit in diesem für Badezimmerverhältnisse relativ großen Raum. Wenig später folgte sein weißes T-Shirt. Nun stand er, nackt bis zum Bauchnabel, vor dem großen Spiegel, der an der Waschbeckenoberkante begann und der es ihm ermöglichte, seinen Oberkörper eingehend zu betrachten. Obwohl er nicht eitel war, erschrak er doch jedes Mal beim Anblick seines mageren Körpers, der eher an einen Jugendlichen erinnerte als an einen erwachsenen Mann.
    Er hatte immer schon schlank ausgesehen, aber seit seiner Erkrankung wirkte dieses Attribut wie eine Übertreibung. Er versuchte seit Monaten zuzunehmen, aber mehr als zwei Kilo hatte er bisher nicht geschafft. Die Krimihelden in den neuen deutschen Serien sahen da völlig anders aus, vor allem, seit sie krampfhaft versuchten, amerikanisches Kino zu kopieren. Sie strahlten unentwegt, wirkten dabei aber stets gekünstelt, so als ob sich ein Riegel Schokolade minderen Geschmacks in ihrem Mund befände, beherrschten mehrere Kampfsportarten und besaßen allesamt ei nen durchtrainierten, Muskel gestählten Körper, der natürlich ins Blickfeld gerückt werden musste, weshalb sie ebenso häufig unter der Dusche wie an den verschiedenen Tatorten auftauchten
    Leng betrachtete sein schmales Gesicht, drückte ein etwa zwei Zentimeter langes Stück Rasiercreme auf den Pinsel und verteilte den Schaum auf seinen Hals und auf die untere Hälfte seines Gesichtes. Das sah jetzt deutlich besser aus, irgendwie voller. Vielleicht sollte er sich einen Bart wachsen lassen, um seinem schmalen Gesicht mehr Kontur zu verleihen.
    Als er mit der Rasur fertig war, stellte er fest, dass seine Jeans ein paar Flecken abbekommen hatten. Er unterdrückte einen Fluch, befeuchtete einen Waschlappen und versuchte vergeblich, die Schaumspuren zu entfernen. Hinterher sahen die Flecken zwar blasser aus, aber die Oberschenkelseite des rechten Hosenbeines war patschnass. Er musste an Vera denken, die ihm immer wieder geraten hatte, sich vor dem Ankleiden zu rasieren.
    Er entledigte sich seiner Hose, legte sie zum Trocknen über den Badewannenrand und warf dabei einen Blick durchs Fenster, direkt auf die Baumkrone einer stattlichen Linde, die zentraler Mittelpunkt des Hofes, aber um diese Jahreszeit natürlich noch kahl war. Die Äste zitterten im Wind, der schon am frühen Morgen eisig durch die Stadt fegte. Nicht gerade das beste Fahrradwetter, aber immerhin besser als Regen oder Schnee. Also würde er zuerst mit dem Rad nach Riehl fahren, wo das Opfer gewohnt hatte und anschließend, wie jeden Tag, auf die andere Rheinseite an seinen Arbeitsplatz. Für alle Fälle würde er sein Regencape mitnehmen, das er in seinem Wildlederrucksack v erstaute, in dem sich auch Werkzeug und Flickzeug befanden, notwendige Utensilien, die leider häufiger, als ihm lieb war, zum Einsatz kamen, weil es für immer mehr Menschen zur Alltagskultur zu gehören schien, Flaschen auf Geh- und Radwegen zu entsorgen, wo sie als kleine, gefährliche Splitter liegen blieben.
    Für die Fahrt nach Riehl benötigte er nicht einmal zehn Minuten. Der Stadtteil geh örte zu einer der ersten Villenvororte in Köln, bevor ihm andere, mit größeren Grundstücken und besseren Sicherungsmöglichkeiten, den Rang abliefen. Inzwischen war die Bevölkerung sehr gemischt, an der Peripherie riesige Wohnblocks errichtet und die meisten der
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