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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern
Autoren: Tanja Kinkel
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s elb s t De m onstrationen organisiert, Gedicht- und Liederzirkel gegründet, die sich b e mühten, talentierte Frauen unterschiedlicher Herkunft zusam m enz u bringen. Für Käthe war sie ein Vorbild gewesen, und daß Barbara König gelegentlich ihren Sohn heru m zeigte, den sie selbst unterr i chtete und von dem sie behauptete, er sei ein Wunderkind, war ihrer Meinung nach eine verzeihliche Schwäche.
    Dann hatte Barbara ihre Freundinnen, die sie ohnehin schon verehrten, vor Ehrfurcht ate m los g e m a cht. Sie besaß die Kühnheit, m itten im Krieg ihren Mann und die m it ihm verbundene m aterielle Sicherheit zu verlassen. Käthe spürte immer noch leichte Beschämun g , wenn sie daran dachte und die E n tscheidung m it ihrer eigenen sicheren Berufswahl verglich. Aber Barbara König war bald danach gestorben, im letzten W i nter, an dem Krebs, der s i e zerfraß. All i h re furiose Energie und ihr bedingungsloses Streben nach Un a bhängigkeit hatten sie nicht retten können.
    Käthe m us t erte Barbara Königs Sohn, das W u nderkind, das nach dem Tod seiner Mutter erst m als auf eine öffentliche Schule hatte gehen m üs s en, wo m an, wenn sie Anni Fehrs Geplauder richtig verstand, e n or m e Wissenslücken i n m itten der Schlagferti g keit und Frühreife e n tdeckt hatte. Er hatte Barbaras leic h t schräge braune Augen, die ihm einen seltsam asiatisc h en Einschlag verliehen, äußerst bewegliche Brauen und ein beunruh i gend selbstsicheres Gebaren. Es würde schwer m it ihm werden, dachte Käthe und überlegte gerade, wer ihn außer Barbara bisher überhaupt unterrichtet hatte, als die lebhafte Mi m i k des Jungen m it einem m al erstarrte. Er schaute schräg nach oben, und Käthe folgte seinem Blick. Hinter ihr brach Anni Fehr in ihr Klein m ädchenkichern aus.
    Carla kam die Treppe herab, sehr langsam und mit ausgestreckt e m A r m , aber ihre Erscheinung hatte m it dem Mädchen, das vor einigen Minuten noch in Geographie unterr i chtet worden war, nur noch das lange rote Haar ge m ein, das sie n un aufgelöst statt in dem üblichen strengen Zopf trug. Ihre Brille fehlt e ; statt dessen hatte sie sich einen breiten schwarzen Streifen um die Augen ge m alt, der sich bis zum Haaransatz an den Schläfen zog. D a runter war ihr Gesicht eine Mischung aus weißen und roten Flecken in Kugelfor m . Die Stirn zierten drei dunkelblaue Streifen. Käthe stöhnte lautlos. Gab es noch irgendein Material von Anni Fehrs Schminktisch, das sich das Kind nicht ins Gesicht ge m alt hatte? Sie sah aus wie eine Kreuzung aus Clown und Indianer. Käthe konnte den Blick ihres Arbeitgebers in ihr e m Rücken brennen spüren, aber statt eines Zorne s ausbruchs v on Heinrich Fehr hörte sie Carlas Stim m e , ein wenig tie f er als gewöhnlich:
    »Seid Ihr alle da ? «
    Da m it bee n dete s ie ihr langsa m es Schreiten, sprang d ie let z t e n zwei Stufen herab und ging zu Rainer König, der als einziger nicht überrascht wirkte und m it d e m weiter m achte, wobei sie ihn unterbrochen hatte; er schenkte sich W ein nach und trank. Carla knickste vor ih m .
    »Grüß Gott, Herr König«, sagte sie in ihrem nor m alen Tonfall.
    »Meine M u tter hat m i r erzä h lt, daß Sie ein Kasperltheater m itgebracht haben, und da wollte ich m it m achen. W e r ist denn der kleine Junge neben Ihnen ? «
    Es fiel Carla schwer, sich nicht u m zudrehen, um die W i rkung ihrer Rede auf die anderen zu beobachten. Sie wußte, daß ihr V ater wütend sein und sie bestrafen würde, und anschließend würde er sie wieder für ein paar W ochen ign o rieren, aber daran war nichts Neues. Der entsetzte Ausdruck auf Fräulein Brods sonst so beherrsc h tem Gesicht m achte ihr m ehr zu schaffen, weil es ihr plötzlich einfiel, daß auch Fräulein Brod bestraft wer d en könnte, und sie erinnerte sich noch genau an das weinende Dienst m ädchen, das im letzten Monat entlassen w orden war. Aber dieser beunruhigende Funke ging unter in der glühenden Gewißheit, es dem Angeber vor dem Klavier hei m gezahlt und ihn völlig aus der Auf m erks a m keit der Erwachsenen verdrängt zu haben. Sein Vater l a chte, wie es v o rhin ihr e r g e tan h a tte, und der Ate m , der sie stoßweise traf, roch sauer. Anni stimmte in das Geläc h ter ein, wo m i t Carla ger e chnet h a tte. Sie wollte si ch gerade wappnen und zu ihrem Vater umdrehen, als eine Hand die ihre nah m . Es geschah m it einem kleinen Ruck, der sie fast aus dem Gleichgewicht gebracht hätte.
    »Gretel«,
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