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Unter dem Weltenbaum - 01

Unter dem Weltenbaum - 01

Titel: Unter dem Weltenbaum - 01
Autoren: Douglass Sara
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nickte nur knapp, aber seine altersfleckigen Hände verloren fast alle Farbe, so fest umfaßte er die Lehnen seines Sessels.
    »Fürst Magariz konnte die Leichen einiger seiner verlorenen Soldaten bergen. Allem Anschein nach hat man sie verspeist … aufgefressen … zur Mahlzeit gemacht.« Der Jüngling schien einen unerwarteten Hang fürs Makabre zu besitzen. Mit trockener Stimme fuhr er fort: »Im Norden Ichtars und in Rabenbund kennen wir keine Tiere, die einen erwachsenen Mann in Rüstung und mit Schwert und Speer ernsthaft gefährden oder gar verschlingen könnten.«
    »Vielleicht einer der großen Eisbären«, vermutete der Bruderführer. Sein Zorn auf den Jüngling verrauchte bei dieser Überlegung. Gelegentlich bekam man von Eisbären zu hören, die im hohen Norden von Rabenbund einen Menschen angefallen hatten.
    »Dafür liegen Stadt und Festung Gorken doch zu weit landeinwärts, Herr. Da müßten die Eisbären schon die sechzig Meilen über den Gorkenpaß trotten und eine Abkürzung durch das Eisdachgebirge kennen.« Der Jüngling dachte kurz nach, als sei ihm gerade etwas in den Sinn gekommen. »Soweit wir wissen, lieben Eisbären keine Höhen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich fürchte, die Eisbären können wir für diese Verluste nicht verantwortlich machen.«
    »Dann stecken vielleicht die Rabenbundmänner selbst dahinter«, meinte Moryson. Rabenbund gehörte offiziell zum Reich Achar und unterstand dem König. Herzog Bornheld verwaltete die Provinz in dessen Namen. Aber das Land hatte sich immer schon als so unwirtlich und wild erwiesen – und wurde lediglich von ungeschlachten Stämmen bewohnt, die Robben und Eisbären jagten –, daß der König und sein getreuer Statthalter es für gewöhnlich sich selbst überließen. Und damit stellte die Festung Gorken praktisch den nördlichsten Punkt der Herrschaft und Macht des Reiches dar. Für gewöhnlich sorgten die Rabenbundmänner kaum für Unruhe; dennoch betrachteten die Achariten sie als barbarische Wilde.
    »Auch das ist, fürchte ich, auszuschließen, Bruder Moryson. Offenbar haben die Rabenbundmänner ebenso schwere Verluste zu beklagen wie unsere Garnisonssoldaten, wenn nicht sogar noch schlimmere. Viele ihrer Stämme sind bereits in den Süden nach Ichtar gezogen und haben fürchterliche Geschichten zu erzählen.«
    »Welche zum Beispiel?« wollte Jayme wissen und zupfte sich ungeduldig am Bart.
    »Daß der Winter verrückt spielt und der Wind lebendig geworden ist. Von nahezu unsichtbaren Eiswesen, die im Wind leben und auf Menschenfleisch aus sind. Die Rabenbünder berichten, die einzige Warnung, die man vor einem solchen Angriff erhalte, sei ein leises Wispern im Wind. Doch auch wenn die Wesen vor dem Zuschlagen kaum auszumachen sind, so erweisen sie sich danach als ziemlich sichtbar. Haben sie erst einmal ihre Beute verschlungen, zeigen sie sich über und über mit dem Blut ihres Opfers besudelt. Die Rabenbünder fürchten sich vor ihnen. Sie haben so schreckliche Angst, daß sie sogar ihre angestammte Heimat verlassen. Das muß man sich einmal vorstellen! Diese Wilden haben sich noch nie vor etwas gefürchtet.«
    »Aber haben sie sich denn nicht gegen diese Wesen gewehrt?«
    »Doch, natürlich. Aber der Feind erweist sich als, nun, substanzlos. Stahl fährt ungehindert durch ihren Körper. Und sie scheinen keine Angst zu kennen. Wenn ein Krieger ihnen nahe genug kommt, um sie mit der Waffe anzugreifen, dürfte dies die letzte Tat seines Lebens gewesen sein. Nur eine Handvoll Männer hat die Begegnung mit einem solchen Wesen überlebt, mit diesen …«
    »Unaussprechlichen?« flüsterte der Ratgeber, und auf seinem gütigen Gesicht zeichnete sich jetzt die Sorge ab, die jedermann bei der Nennung dieses Namens befiel. Dabei hatte Moryson nur das zum Ausdruck gebracht, was allen im Raum längst in den Sinn gekommen war – nur hatte es niemand auszusprechen gewagt.
    »Nicht so voreilig, Moryson«, mahnte der Bruderführer. »Warten wir lieber erst ab, was Gilbert uns noch zu berichten hat.« Der Ärger über die Unbotmäßigkeit des Jünglings war nun endgültig von allen abgefallen. »Magariz’ Soldaten sind ähnlichen Erscheinungen begegnet. Allerdings weilt keiner von denen, die einen genaueren Blick auf die Wesen werfen konnten, mehr unter den Lebenden …« Gilberts Stimme wurde immer leiser. »Einen Mann haben die Soldaten mehr tot als lebendig gefunden, und er verschied wenige Minuten, nachdem der Fürst eingetroffen war. Der
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