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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond
Autoren: N Vosseler
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drein.
    »Aber es ist Richard«, flüsterte Maya in einem schwachen Versuch, sich zu verteidigen. »Ich muss zuhören, wenn er erzählt! Wenn ich groß bin, will ich genauso sein wie er – genauso mutig und tapfer, genauso wild, so –   «
    »Das geht doch gar nicht«, gab Angelina verächtlich zurück. »Du bist doch ein Mädchen!«
    Zorn wallte in Maya auf und ließ sie aufspringen, die Hände zu Fäusten geballt. »Und ob das geht, wirst schon noch sehen!«, erwiderte sie heftig und lauter als beabsichtigt.
    »Was ist denn hier los?« Gerald Greenwood stand im Türrahmen und starrte in einer Mischung aus Verblüffung und Belustigung auf die beiden weißen Gestalten. Wie der Blitz war Angelina die Treppe wieder hinaufgeschossen und im Dunkel des oberen Stockwerks verschwunden. Maya senkte betreten den Kopf und vergrub ihre Zehen im Flor des Treppenläufers.
    »Ich wusste gar nicht, dass in Black Hall ein solch zauberhaftes Nachtgespenst sein Unwesen treibt.« Beim Klang von Richards Stimme blinzelte Maya unter halb gesenkten Lidern in Richtung Tür. Er stand jetzt neben ihrem Vater, den er um beinahe einen ganzen Kopf überragte, groß und breitschultrig wie er war. Trotz Anzug mit Krawatte und gescheiteltem, schwarzem Haar ähnelte er in seiner Gesamtheit mehr einem Italiener oder einem der Zigeuner auf dem Jahrmarkt von St. Giles denn einem Engländer. Sein Anblick, der Anflug eines Lächelns auf seinem sonst so düster wirkenden Gesicht, ließ Mayas Wangen freudig glühen.
    »Bekomme ich keine Begrüßung, Prinzessin?« Er trat über die Schwelle, ging in die Knie und breitete die Arme aus. Leichten Herzens flog Maya die restlichen Stufen hinab, ihm entgegen, und warf sich in seine Umarmung. Das Gesicht an die Schulter seines Jacketts geschmiegt, sog sie den Geruch nach Tabakrauch, Wollstoff, Seife und Pomade ein, und das Schwere, Holzige, das so typisch für Richard war.
    »Richard ist gekommen, um sich zu verabschieden. Er verlässt morgen Oxford und wird dann wohl sehr lange Zeit nicht nach England zurückkehren.« Maya hob den Kopf und sah ihren Vater verwirrt an, den es sichtlich bedrückte, ihr solchen Kummer bereiten zu müssen. Ihr Blick wanderte wieder zu Richards hart konturiertem Gesicht mit den hervorspringenden Wangenknochen, drang fragend, ja bittend in seine dunklen Augen, die den ihren so nahe waren, in der vergeblichen Hoffnung, dies sei nur einer seiner Scherze, mit denen er sie oft zu necken pflegte. Ernst, fast entschuldigend erwiderte er ihren Blick.
    Seit Jonathan nur noch in den Ferien nach Hause kam, war Richard ihr der einzige und liebste Spielgefährte geworden. Angelina wollte immer nur mit ihren blöden Puppen spielen, und nachdem Maya aus Versehen eine Tasse des Teeservices aus Porzellan zerbrochen hatte, durfte sie sich der Puppenstube nicht einmal mehr nähern. Richard hatte im Garten gegen Maya Duelle mit Holzschwertern ausgefochten und sich nach einem guten Treffer von ihr bereitwillig unter gespielten Todesqualen ins Gras fallen lassen. Die Schaukel unter dem Apfelbaum hatte er angeschubst, höher und immer höher, so hoch, wie es ihr Vater nie gewagt hätte, bis Maya vor Freude und wohliger Angst quietschte. Auf dem Boden der Bibliothek hatten sie sich beide über den großen Atlas gebeugt, waren Mayas Kinderhände und Richards erstaunlich feingliedrige Finger entlang der Routen Marco Polos über die Seiten gewandert. So hatten sie ihre eigenen Expeditionen in den Orient geplant, von denen sie beladen mit Seide, Tee, Gewürzen, Gold und Edelsteinen nach England zurückkehren würden. Das sollte ab heute vorbei sein? Nach Indien , fiel ihr ein, und sie schluckte. Ein Kälteschauder erfasste sie, und etwas klumpte sich in ihrem Magen zusammen.
    »Wenn ich nicht wach geworden wäre«, wisperte sie entsetzt, »dann hätte ich dich ja gar nicht mehr gesehen.«
    »Weißt du«, Richard atmete tief durch und strich ihr leicht über den Rücken, »ich bin nicht besonders gut im Abschiednehmen. Begrüßungen sind mir lieber.«
    »Aber«, platzte sie heraus, »aber du kannst nicht weg!« Ihre Finger krallten sich in den Stoff seines Jacketts, als könnte sie ihn dadurch zum Bleiben bewegen. In ihrer Not rang sie sich dazu durch, ihm ihr am besten gehütetes Geheimnis anzuvertrauen. Sie schlang die Arme um seinen Hals, drückte ihre Wange an seine Schläfe, dorthin, wo er am intensivsten roch, wie nach Lakritz, und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich will dich doch heiraten.«
    Sogleich
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