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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond
Autoren: N Vosseler
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Verblüffung über seinen Kopf hinweg mit rauer Stimme in akzentfreiem Englisch.
    Ein, zwei Augenblicke war es entsetzlich still im Haus, dann hörte Jonah die niedrigen Absätze der bestickten Lederpantoffeln, die seine Mutter im Haus trug, eilig heranklappern, die Treppen hinab. Er wandte den Kopf und sah, wie sie oberhalb der letzten Stufen stehen blieb, die Hände seitlich vor den Mund gepresst, aber ein Strahlen in den Augen, wie er es in dieser Form noch nie bei ihr gesehen hatte.
    »Richard«, rief sie lachend, als sie die Hände sinken ließ, und Jonah glaubte, Tränen in ihren Augen zu entdecken. Er sah von einem zum anderen und spürte eine Art von Verbundenheit, aus der er ausgeschlossen war und die ihm Stiche in der Herzgegend verursachte. »Komm doch rauf, ich lasse Tee aufsetzen! Oder magst du lieber einen Kaffee?«
    Mit wütender Miene schob Jonah sich an diesem »Richard« vorbei auf die Straße, prellte den Ball auf das Pflaster, dass er immer höher sprang. Aber als er seine Freunde erreicht hatte, hatte er den Grund für seinen Unmut auch schon wieder vergessen, mit aller Sorglosigkeit eines Dreizehnjährigen.
    »Schön hast du es hier«, sagte Richard Francis Burton, als Maya ihn in ihr Arbeitszimmer führte, das in hohen, offenen Regalen auch ihre Bibliothek beherbergte. Er legte seinen Hut auf ihren Schreibtisch, ließ neugierig den Blick über die ausgebreiteten Papiere, Notizen und aufgeschlagenen Bücher schweifen, ehe er es sich in einem der beiden Stühle an dem kleinen runden Tisch bequem machte, den Knöchel des einen Beines auf dem Knie des anderen ruhend lassend. Geraume Zeit sahen sie sich mit einer Mischung aus Staunen, nostalgischer Wiedersehensfreude und ernsthafter Begutachtung einfach nur an; Richard, der saß, und Maya, die in einem schwarzen Kleid aus leichtem Stoff vor ihm stand. Und jeder von ihnen ließ vieles noch einmal Revue passieren, was sie gemeinsam, aber auch getrennt voneinander erlebt hatten.
    Krank und alt sah Richard aus, fand Maya. Ausgezehrt, noch mehr als bei ihrer letzten Begegnung in Aden, als hätte ihn jedes Jahr über Gebühr gezeichnet. Doch noch mehr erschreckte sie die Müdigkeit in seinen Augen, die damals noch nicht sichtbar gewesen war.
    »Wie lange ist das jetzt her?«, flüsterte sie leise. »Über dreizehn Jahre?«
    Richard nickte bedächtig. »Februar ’55 muss es gewesen sein. Vierzehneinhalb genau.«
    Mit einem Nicken bedankte Maya sich bei Betty, die ein Tablett vor sich herbalancierte und gewissenhaft Teekanne, Tassen, herzhaftes, scharf gewürztes Gebäck und süße Mandelkekse abstellte, dazu Cognac aus Elizabeths Hughes’ alljährlich mitgebrachtem Vorrat und ein Glas, schließlich den Aschenbecher, wie von Maya geordert. Sie bemühte sich, den fremden Gast nicht allzu offensichtlich anzustarren, der ihre Hausherrin in solcher Hektik um Tee hatte bitten lassen. Doch kaum hatte sie geknickst und die Tür hinter sich geschlossen, hastete sie auch schon die Treppe hinab, um der ungeduldig in der Küche wartenden Tante Elizabeth alles bis ins kleinste Detail zu berichten.
    »Du hast meine Briefe nie beantwortet«, stellte Maya ohne Vorwurf in der Stimme fest, als sie den Tee eingoss.
    »Ich hatte viel zu tun, war viel unterwegs«, antwortete Richard ausweichend, als er sich ein Zigarillo anzündete und den Rauch tief einsog, bevor er sich beim Cognac bediente. »Du hast zugenommen«, stellte er mit einem erneut prüfenden Blick fest.
    Maya lachte, keineswegs beleidigt, während sie ihre Tasse ebenfalls füllte. »Ich bin die Pfunde nach der Geburt nie wieder losgeworden.«
    »Famoser Junge, den du da hast. Schlägt ganz nach dir. Von seinem Vater hat er nicht allzu viel.«
    »Findest du.« Maya setzte die Kanne ruckartig ab und ließ sich Richard gegenüber nieder. »Ihr habt keine Kinder, du und Isabel?«, fragte sie höflichkeitshalber nach, obwohl sie die Antwort kannte.
    Richard rollte den Zigarillo zwischen den Fingern hin und her und schüttelte den Kopf. Es war anzunehmen, dass eine seiner vielen Krankheiten im Laufe der Jahre seine Zeugungsfähigkeit beeinträchtigt hatte. Isabel, die wie er Kinder liebte, überschüttete deshalb sämtliche Neffen und Nichten und selbst deren Hunde, Katzen, Ponys und Pferde mit überschäumender Zärtlichkeit. »Hat sich nicht ergeben«, antwortete er. »Sicher auch ein Segen, rastlos, wie wir sind.« Er sah wieder auf und fasste Mayas Kette mit der Münze ins Auge, die aus ihrem kleinen Ausschnitt
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