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Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)

Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)

Titel: Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)
Autoren: Kirsten Greco
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fiel ihr unendlich schwer, sich von Erinnerungsstücken zu trennen, aber bisher war der Hunger immer stärker gewesen.
    Anna trat ans Fenster und lehnte sich weit hinaus. Bald würde es hell werden. Die frische Luft tat ihr gut. Sie wollte nachdenken und das konnte sie nicht in der vertrauten Umgebung des Sonnenecks. Liebevoll hatten Mutter und Vater den Namen für das kleine Spielzeuggeschäft ausgesucht. Sie liebten Kinder, planten eine große Familie, die ihnen leider nicht vergönnt gewesen war. So wurde das Sonneneck für sie zur Ersatzfamilie. Seit 1925 gab es den Laden, er hatte gute Zeiten erlebt und schlechte. Dies waren eindeutig schlechte.
    Sie schloss das Fenster und kratzte die Eisblumen von der Scheibe. Der Horizont leuchtete purpurfarben. Zum Teufel mit der Genügsamkeit! Sie griff nach einem Stück Holz und warf es in den Ofen. Die Klappe ließ sie offen und erfreute sich bald am leisen Knistern des Feuers. Sie setzte Wasser in einem alten Stahlhelm auf, der als Kochtopf diente. Heute würde sie sich eine Kanne starken Kaffee gönnen. Entschieden kippte sie den Rest des Pulvers in den Filter, damit Peter auch noch eine Tasse mit ihr trinken konnte.
    Anna rückte den Stuhl näher an den Ofen, der langsam ein wenig Wärme ausstrahlte. Mit dem dampfenden Becher in den Händen geriet sie wieder ins Grübeln. Sie mochte den kleinen Laden, in dem sie groß geworden war. Damals war das Sonneneck ihr Spielzimmer, heute mit zweiundzwanzig Jahren ihr Zuhause. Dennoch hatte sie das Gefühl, vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Seit vier Jahren führte sie das Sonneneck allein. Davon leben konnte sie nicht. Die Ersparnisse ihrer Eltern waren aufgebraucht und das wenige, das sie aus den Trümmern bergen konnte, hatte sie bereits zu Geld oder Essen gemacht. Das silberne Besteck gehörte zu den letzten Schätzen, die ihr noch geblieben waren. Sie leerte die Tasse und stellte sie auf den Tisch. So sehr sie auch an dem alten Spielzeugladen hing, war es doch eben diese vertraute Umgebung, die sie neuerdings zu erdrücken schien. Es fiel ihr zunehmend schwerer, morgens überhaupt die Ladentür aufzuschließen. Sie musste unbedingt mit Peter darüber sprechen. Onkel Schubert, wie sie ihn neckend nannte, wusste immer Rat. Er war genau zehn Jahre älter als ihr Vater. Vor drei Jahren hatten sie gemeinsam seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert. Schon lange vor dem Krieg hatte er seine Frau verloren und war mit der Zeit Teil ihrer Familie geworden. Während des Krieges hatte er manch eine Mahlzeit mit ihnen geteilt, nächtelang mit ihrem Vater diskutiert und Schach gespielt.
    Sie griff nach einer Bürste und band sich die Haare zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammen. Mit der dicken Kerze in der Hand ging sie zum Badezimmer. Nicht zum ersten Mal dankte sie ihrem Vater dafür, dass er diesen winzigen Raum mit eingeplant hatte, als das Sonneneck entstand. Vergeblich versuchte sie, das Flurlicht anzuknipsen. Immer noch kein Strom. Wahrscheinlich würde die Stromsperre erst nach Sonnenaufgang aufgehoben werden. Den Kerzenschein mochte sie ohnehin lieber. Sie stellte das flackernde Licht auf das weiße Waschbecken und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Den Blick in den angelaufenen Spiegel mied sie. Sie wusste, wie sie aussah. Mager und blass, mit dunklen Augenringen, die mit jeder Nacht zunahmen. Sie streckte dem Spiegelbild die Zunge raus und lief zurück zu dem Fensterplatz am Herd. Das Holz war verbrannt, doch der Ofen strahlte noch genug Wärme aus. Endlich schickte auch die Sonne ihre ersten zarten Strahlen ins Zimmer. Anna ließ den Blick über die Regale schweifen. Holzautos, Puppen und eine Unmenge von Bauklötzen. Beinahe alles stammte aus der geschickten Hand ihres Vaters. Stunde um Stunde hatte er an der kleinen Werkbank im Keller gesessen und ein Kleinod nach dem anderen geschaffen. Sie lehnte sich zurück und legte die Füße auf die Fensterbank. Mama hätte sie dafür zurechtgewiesen. Wie gern würde sie sich heute von ihr beschimpfen lassen. Sie schielte zur Tür. Bald musste sie den Laden aufschließen. Ob Papa sehr enttäuscht wäre, wenn sie die Tür nie mehr aufmachen würde? Das elende Pflichtbewusstsein lag wie eine zentnerschwere Last auf ihren Schultern. Anna fühlte sich gebunden, verpflichtet, das Erbe ihrer Eltern fortzuführen, doch mit dem Herzen war sie nicht dabei. Sie raufte sich die Haare und einige Strähnen lösten sich aus ihrem Zopf.
    Ein lautes Poltern riss sie aus ihren Gedanken. Jemand
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