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Unter dem Deich

Unter dem Deich

Titel: Unter dem Deich
Autoren: Maarten 't Hart
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was man kocht. Man kann nicht einfach einen Teller mit Grütze auf den Tisch knallen. Und wenn man über das Essen nachgedacht hat, muss man groß einkaufen gehen. Man muss darüber nachdenken, welchen Wein man serviert. Danach muss das ganze Essen zubereitet werden. Stundenlang steht man in der Küche! Und dann das Essen selbst. Man muss sich unterhalten. Man darf die Gänge nicht zu schnell nacheinander auftragen, ein solches Essen soll ja den ganzen Abend dauern. Und wenn man die fürchterliche Tortur dann schließlich gegen eins hinter sich gebracht hat, wartet noch ein Riesenabwasch.«
    »Den übernehme diesmal ich.«
    »Einverstanden.«
    »Gut, aber dann will ich auch keine Klagen mehr hören. Ich versteh das nicht. Was gibt es Schöneres, als wenn Freunde zum Essen kommen?«
    »Mir kommt es so vor, als würdest du immer öfter Gäste einladen.«
    »Aber diesmal sind es doch deine Freunde.«
    »Meine Freunde? Ich dachte, du findest Maud und Teun auch nett.«
    »Darum geht es nicht, es geht darum, dass die beiden deine Freunde sind.«
    »Ich verstehe nicht, warum Freunde erst dann Freunde sind, wenn man sie ständig zum Essen einlädt? Glaubst du, wir hätten früher bei uns zu Hause …«
    »Aha, jetzt kommt das wieder! Früher bei uns zu Hause! Mein Vater und meine Mutter hatten auch nie Freunde zum Essen da und sind selbst nie ausgegangen.«
    »Wie bei uns. Zu uns sind niemals Freunde, Bekannte oder Verwandte zum Essen gekommen.«
    »Und das ist für dich Grund genug, selbst niemals Freunde in dein Haus zu laden?«
    »Lass uns die Diskussion beenden, am Ende läuft es sowieso wieder darauf hinaus, dass wir aus unterschiedlichen Milieus stammen.«
    »Es gibt auch noch so etwas wie Anpassung.«
    »Anpassung? Ach, ja? Gibt es auch nur eine einzige Gewohnheit oder Sitte, die die Menschen aus den sogenannten besseren Kreisen von den Arbeitern übernommen haben? Anpassung! Hör doch auf! Alles, was die Menschen aus den besseren Kreisen tun und lassen, halten sie für die Norm. Ihre Art zu leben versteht sich von selbst, alles andere ist geschmacklos, primitiv, unkultiviert.«
    Es klingelte an der Tür. Jan sagte: »Da sind sie.« Maud und Teun traten ein, und Jan und Maud küssten einander ausgiebig auf die Wangen. »Dieses schreckliche Geknutsche«, dachte sie, »auch so eine Scheißangewohnheit der besseren Kreise.« Sie richtete sich hoch auf, presste die Lippen aufeinander und verhinderte so, dass Teun sie auch auf die Wangen küsste.
    »Was darf ich euch einschenken?«, fragte Jan.
    Sie holte tief Luft. »Schon dieser Satz«, dachte sie, »wäre ein Grund, sich umzubringen.« Eilig ging sie in die Küche. Das Essen war fertig, aber sie konnte es noch nicht auftragen. Schließlich musste zuerst ein Aperitif getrunken werden. Nachdem sie eine halbe Stunde lang mit geballten Fäusten auf einem Küchenstuhl gesessen hatte, trug sie das Essen auf. Während sie beim Essen pflichtgemäß Konversation betrieb, dachte sie die ganze Zeit an das Buch, das sie tags zuvor gelesen und das einen niederschmetternden Eindruck auf sie gemacht hatte. »In dem Roman von Fontane gehen Lene und Botho davon aus, dass in Anbetracht der Standesunterschiede, die zwischen ihnen herrschen, eine Ehe nicht möglich ist. Aber wir leben doch in einer ganz anderen Zeit?« Sie kam zu dem Schluss: »Das scheint nur so. In Wirklichkeit hat sich nichts geändert. Der einzige Unterschied zwischen damals und heute ist, dass heute so getan wird, als gäbe es keine Stände und keine Standesunterschiede mehr. Deshalb darf man von Standesunterschieden nicht mehr sprechen, und dadurch ist es nur umso schwerer geworden, diese Standesunterschiede, über die man nicht mehr sprechen darf, zu überbrücken.«
    Nach dem Essen sagte Jan: »So, und jetzt werden Maud und ich schnell abwaschen. Bleib du ruhig sitzen.«
    Sie blieb im Wohnzimmer und unterhielt sich mit Teun: »Ich verstehe nicht, warum du den Ruf nach Utrecht nicht angenommen hast.«
    »Maud will hier nicht weg«, antwortete Teun.
    »Dabei ist die Stadt in ihren Augen doch ein Kaff.«
    »Ja, aber offenbar gefällt es ihr hier trotzdem gut. Und ich wohne auch sehr gern hier.«
    »Obwohl die Leute dich nicht für streng genug halten!«
    »Ach, ja, natürlich bin ich nicht streng genug, aber ich kann doch schlecht Hölle und Verdammnis predigen. Das wäre scheinheilig.«
    »Scheinheilig? Wieso?«
    »Weil ich mit Maud verheiratet bin. Kann ich die Heiligung des Sonntags verlangen, wenn meine eigene
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