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Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Titel: Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
Autoren: Alexandra Fuller
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Terriern und mit seinem Hirsch gesehen, aber die Palawi sind Geister geblieben, werden nirgendwo sichtbar. Ich weiß ja nicht einmal, ob es Männer oder Frauen oder wie alt sie waren. Und solange ich keinen Gegenbeweis habe, stelle ich mir zwei heimwehkranke Männer mittleren Alters vor, wie sie in Gesellschaft eines blinden Hirsches in diesem regengepeitschten Garten unter einem südamerikanischen Baum sitzen, von bösartigen, unberechenbaren Terriern fast zum Wahnsinn getrieben.
    »Eine schreckliche Geschichte«, sage ich zu Mum. »Wo liegen sie denn begraben?«
    »Na, auf dem Friedhof sicher nicht, sie waren ja keine Christen.« Und nach einer Pause: »Sie waren Heiden.« An der Art, wie sie das Wort ausspricht, kann ich erkennen, dass es ihr gefällt – Heiden – mit all seinen Somerset Maughamschen Konnotationen. »Aber hinter dem Haus gibt es einen hübschen kleinen Tierfriedhof«, sagt sie. »Gut möglich, dass sie dort begraben liegen.«
    »Zusammen mit den bissigen Kötern«, sage ich.
    »Ach, weißt du«, sagt Mum, »mich würde das nicht stören.«
    Ihre Augen werden bedrohlich hell. »Du wirst das hoffentlich nicht in eins deiner grässlichen Bücher schreiben, oder?«, sagt sie. »Sonst graben die Aborigines die Insel vom einen Ende zum anderen um, um ihre Verwandten zu finden.« Sie denkt kurz darüber nach. »Na ja, da uns das Anwesen nicht mehr gehört, ist es eigentlich auch egal.«
    Nach dem Tod des übellaunigen Donald wurde Waternish Estate in den 1960er-Jahren an einen Holländer verkauft. Der Holländer wiederum verkaufte einen Teil des Anwesens an den schottischen Sänger und Liedermacher Donovan. Donovan war der erste britische Musiker, der auf der Flower-Power-Welle mitschwamm. Weltberühmt wurde er mit seinen fantastischen psychedelischen Hits Sunshine Superman , Season of the Witch und The Fat Angel und weil er der erste britische Popstar war, der wegen Marihuanabesitzes verhaftet wurde. Man erzählt sich über Donovan, dass er groovy war und oft mit Bob Dylan verwechselt wurde, worüber er sich sehr geärgert haben soll.
    »Irgendwann Anfang der Siebziger hat Bob Dylan einen Teil des Besitzes gekauft«, verrät mir Mum. »Aber wie die Hippies nun mal sind, hat er ein Wasserbett in den ersten Stock schaffen lassen, und das ist durch die Decke gekracht.«
    »Nicht Bob Dylan«, sage ich. »Donovan.«
    »Wer?«, sagt Mum.
    Das einzige Stück Erde, auf das die Macdonalds of Waternish überhaupt noch Anspruch haben, sind ein paar Grabhügel auf dem Friedhof hinter der Ruine der Trumpan Church. Unter zwei kleineren liegen meine Großeltern begraben, und ein größerer beherbergt eine ganze Bande meiner mörderischen ermordeten Angehörigen. Ich bin ans Meer gefahren und habe die Gräber meiner Großeltern gefunden. Als ich auf sie herunterschaute, fragte ich mich, unter welchem mein Großvater und unter welchem meine Großmutter lag. Mum versucht immer noch, sich an die Geburtsdaten zu erinnern, um sie auf ihre Grabsteine gravieren zu lassen, und bis dahin bleiben die Gräber anonym. »Ist das nicht furchtbar«, sagt sie, »mir will einfach nicht einfallen, wann sie geboren sind.« Aber das war in unserer Familie immer so. Lange Menschenleben werden auf ein, zwei lächerliche oder bösartige Anekdoten reduziert. Wann wir auf die Welt gekommen sind oder sie wieder verlassen haben, ist dabei nicht wichtig. Geboren werden oder sterben kann schließlich jeder, aber wer sammelt schon Aborigines oder erfindet neue Hunde?
    Ich drehte mich um, blickte hinaus auf die Äußeren Hebriden. Zwischen mir und dem Meer lag das Massengrab für Hunderte meiner Vorfahren, ums Leben gekommen in einer der blutigsten Episoden der schottischen Geschichte. Es starben so viele, dass man statt eines ordentlichen Begräbnisses einen Erdwall über die Leichen geschoben hatte, und die Schlacht ging unter dem Namen »The Spoiling of the Dyke« (Die Schändung des Deiches) in die Chroniken ein. Jeder in meiner Familie erinnert sich an diese Geschichte, nicht nur, weil sie so brutal war oder weil wir dabei so viele Vorfahren verloren hatten (das war den Macdonalds of Clanarald mit deprimierender Regelmäßigkeit widerfahren), sondern weil in ihr eine Vergewaltigung, zwei verhängnisvolle Feuer und eine abgerissene Brust vorkamen – selbst für unsere Standards eine recht muntere Akkumulation von Dramatik.
    Ungefähr 1577 hatte ein Macdonald eine Jungfrau der MacLeods missbraucht, »oder durch irgendetwas ihren Zorn erregt«,
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