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Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Titel: Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
Autoren: Alexandra Fuller
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bewaffnet auf den gewaltigen Brocken wilder Landschaft an der nordwestlichen Klaue der Insel.
    Meine Erinnerung an die Gespräche, die ich im Lauf der Jahre mit Mum und Granny geführt hatte, leitete mich mindestens so gut wie die Landkarte. Land, Himmel und Meer hatten alle denselben verregneten Grauton, der das Erkennen von markanten Orientierungspunkten fast unmöglich machte, aber schließlich fand ich das herrschaftliche alte Haus auf Waternish Estate, ein großes zerfallenes Gemäuer mit schwarzen Löchern, wo früher die Fenster waren, Löchern, die es blind und leblos erscheinen ließen. Ich parkte am Straßenrand, und als ich das Grundstück betrat, kam ich mir wie ein Eindringling vor, nicht gegenüber dem jetzigen Besitzer, wer immer das sein mochte, sondern gegenüber Mums rebellisch-romantischer Vorstellung von ihren Ahnen.
    Als ich auf die Lichtung kam, erschrak ich beinahe vor dem unerwarteten Anblick der Araukarie, die am Rande einer freien Fläche stand, die früher ein Rasen gewesen sein musste. Ich hatte von dem Baum, einer Koniferenart aus Südamerika, alte Schwarzweißfotografien aus den zwanziger Jahren gesehen, aber nichts hätte mich auf diese Fremdheit auf einem verwilderten Küstengrundstück in Schottland vorbereiten können.
    »Wahrscheinlich ist sie zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts von Major Allan Macdonald gepflanzt worden«, hatte Mum gesagt. »Der Major hatte eine große Begeisterung für Gartenbau und Landwirtschaft. Seine Hochlandrinder waren preisgekrönt, und er liebte seine Cairn Terrier über alles. Er hat die Zucht begonnen, oder wie immer das heißt, wenn jemand einen Hund erfindet. Gezüchtet hat er sie, damit sie die wilden Otter abmurksten, die ihm den Fischfang verdarben.«
    Trotz des Massakers an den Ottern gab es keinen Zweifel, dass Major Allan Macdonald Mums ungeteiltes Wohlwollen genoss. Und als absolut loyale Macdonald of Clanranald sagt Mum gleichfalls nichts gegen seine Cairn Terrier, auch wenn sie als junge Frau von einem Rüden namens Robert so malträtiert worden war, dass an ihrer Oberlippe eine Narbe zurückgeblieben ist. »Ach, da war ich selber schuld«, sagt sie. »Ich hab ihn erschreckt, und das mögen Cairn Terrier nun mal nicht.«
    Major Allans Sohn, Captain Allan – in der Familie Muncle genannt –, teilte die Begeisterung seines Vaters für Rinder und Hunde. Gegen Ende der 1840er-Jahre segelte unter seinem Kommando eines der letzten Sträflingsschiffe nach Tasmanien. Auf die Reise nahm er ein paar von den Cairn Terriern mit, und in der Familienchronik ist zu lesen, dass er im Tausch gegen die Hunde zwei tasmanische Aborigines vom Stamm der Palawa mit nach Hause gebracht hat. Die Aborigines sollen bis zu ihrem Tod auf Waternish Estate gelebt haben, zusammen mit einem gezähmten Hirsch (vom passionierten Jäger Muncle geblendet, aber nicht getötet) und einer Meute kläffender Terrier.
    Die beiden angeblichen Palawa lassen mir keine Ruhe. Nur Gott weiß, welch schreckliche Erinnerungen an ihre Heimat sie in ihren Seelen bargen, aber auf dieser seltsamen Insel nun, wo alle nur Gälisch sprachen, konnten sie sich nicht einmal mitteilen und von ihrem Martyrium erzählen. »In den 1820ern passierten schreckliche Dinge in Tasmanien«, schreibt Jan Morris in Heaven’s Command: An Imperial Progress . »Nicht selten wurden Schwarze zum Vergnügen gejagt … manche en passant vergewaltigt, andere als Mätressen oder Sklaven entführt. Die Robbenfänger auf den Bass-Inseln richteten sich ihre ganz private Sklavenhaltergesellschaft mit Harems ein und bedienten sich des bewährten Instrumentariums der Sklaverei – Stockschlägen, Aufhängen an Bäumen, Auspeitschungen mit Gerten aus Kängurudärmen. Auf einem Raubzug wurden siebzig Ureinwohner getötet, die Männer erschossen, Frauen und Kinder aus Felsspalten gezerrt und erschlagen.«
    Am 1. Dezember 1826 verkündete die tasmanische Colonial Times : »Wir heucheln nicht selbstgefällig Menschenliebe. Wir sagen unzweideutig: SELBSTVERTEIDIGUNG IST DAS ERSTE GESETZ DER NATUR . DIE REGIERUNG MUSS DIESE EINGEBORENEN FORTSCHAFFEN – ODER SIE WERDEN WIE WILDE TIERE GEJAGT UND GETÖTET !«
    Mit dem allergrößten Wohlwollen könnte ich mir vorstellen, dass Muncle die beiden Palawi nach Waternish gebracht hat, um sie vor dem Völkermord zu retten, dem sie in Tasmanien zweifellos zum Opfer gefallen wären.
    »Das bezweifle ich«, sagt Mum. »So einer war Muncle nicht.«
    Ich habe Fotos von Muncle mit seinen
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