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Unser sechzehntes Jahr (German Edition)

Unser sechzehntes Jahr (German Edition)

Titel: Unser sechzehntes Jahr (German Edition)
Autoren: Nancy Salchow
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genauso geht. Wir hatten beide nur unterschiedliche Strategien, mit den Schmerzen klarzukommen.
    Nathalies Fragen haben mich aufgewühlt. Ich wollte sie teilhaben lassen. An unserer Vergangenheit. An den Geschichten über Fiona. Wirklich. Aber ich habe auch gemerkt, wie schwer es mir noch immer fällt, darüber zu reden. Selbst dir gegenüber. Es gibt so vieles, was ich dir sagen will und nie konnte, weil ich zu schwach bin. Weil ich Angst vor deiner Reaktion habe. Ja, sogar Angst, dass du mich tröstest. Kannst du dir das vorstellen? Ich habe Angst davor, dass du mich tröstest!
    Deine Fürsorge, Armin, dein Verständnis, deine Liebe haben mir die Gedanken an das, was war, manchmal noch unerträglicher gemacht. Zu wissen, dass du bist wie du bist. Zu wissen, dass du mich bedingungslos liebst, nach all den Jahren, hat es mir so schwer gemacht, dir zu sagen, was ich dir heute endlich sagen will. Was heißt sagen… ich SCHREIBE es dir, weil ich Angst davor habe, dir dabei in die Augen zu schauen.
    Aber die letzten Tage haben mir gezeigt, dass ich nicht länger schweigen kann. Dass ich nicht damit klarkomme, dieses Wissen, das mich seit sechzehn Jahren verfolgt, nicht mit dir teilen zu können. Ich hatte Angst, dass du mich hassen könntest. Und ich hatte Angst, dass du es verstehen würdest. Ich hatte vor allem Angst, Armin. Vor allem aber hatte ich Angst, dir wehzutun. Dir zu erzählen, dass die Frau, die du liebst, Schuld daran ist, dass sich unsere Tochter das Leben genommen hat.
    Die Zeit, in der Fionas Noten immer schlechter wurden, war nicht leicht. Ich habe mir Sorgen gemacht, hatte Angst, dass sie noch weiter absackt und habe auch der Band viel Schuld daran gegeben. Du erinnerst dich sicher, wir haben damals oft darüber gesprochen. Sie war einfach viel zu klug, um eine von denen zu sein, die die Klasse wiederholen müssen. Und vor allem: was hätte es gebracht, wenn sie auch nach dem Sitzenbleiben nichts an ihrer Einstellung geändert hätte? Wie lange hätte es so weitergehen sollen?
    Ich wollte einfach, dass sie sich mehr ins Zeug legt. Dass sie sich engagiert für die Schule und begreift, wie wichtig sie ist. Als sie dann anfing, nur noch von der Band zu reden, und vor allem auch von diesem Theo, wurde mir klar, dass in ihrem Kopf gar kein Platz für die Schule ist. So oft hat sie beteuert, dass sie sich ändern wird, dass sie mehr lernt, dass sie es ernster nimmt. Aber nichts änderte sich.
    Du und ich, wir haben damals beide gehofft, dass das mit der Band nur eine fixe Idee ist und sich mit der Zeit von selbst erledigen würde. Aber wann immer wir zur Sprache brachten, dass die Band ihre schulischen Leistungen negativ beeinflusste, drehte Fiona durch. Ihre Drohung, von zu Hause abzuhauen, wenn wir ihr die Band verbieten würden, machte mir schwer zu schaffen. Du hast gesagt, ich soll mir das nicht so zu Herzen nehmen. Vielleicht hätte ich auf dich hören sollen. Aber mich hat diese Drohung nicht losgelassen. Ich hatte Angst, sehr große Angst, dass sie sie wahr machen würde. Fiona befand sich in einer Phase, in der ich ihr alles zugetraut hätte. Alles, bis auf eines.
    Ihre Drohung war der Grund, dass ich weitergedacht habe. Überlegt habe, was ich noch tun könnte. Trotzdem traf ich die Entscheidung, die ich mein Leben lang bereuen würd e, aus dem Reflex heraus. Es war an einem der Nachmittage, als Fiona Nachhilfe hatte und ich am Proberaum der Band vorbeifuhr. Ich hatte sie schon öfter dort abgesetzt, war aber nie mit rein gegangen. An diesem Tag fuhr ich langsamer und blieb schließlich stehen. Ich habe keine Ahnung, was ich eigentlich vorhatte und was ich mir davon versprach, aber ich parkte meinen Wagen an der Straße und stieg schließlich aus.
    Im Proberaum waren nur zwei Jungs, der Rest der Band war noch nicht da. Einer von ihnen war Theo. Ich wusste es, bevor er sich vorstellte. Genauso hatte ich mir Fionas Traum von einem Jungen vorgestellt. Zu lange Haare, Lederklamotten, Stirnband. Er passte genau zu ihrer Vorstellung von "Hauptsache anders".
    Ich fragte ihn, ob wir reden könnten und er ging mit mir nach draußen. Und dann… dann kam eines zum anderen. Zuerst hatte ich nur Fragen stellen wollen. Über die Band. Über die neue Backgroundsängerin. Aber die Wahrheit war, dass ich nur nach einer Möglichkeit suchte, ihn von selbst auf den Pfad zu bringen, Fiona gegen die andere Sängerin einzutauschen. Ich wollte, dass diese Gefahr, die die Band darstellte, aus Fionas Leben verschwindet.
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