Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London
Autoren: Moritz Volz
Vom Netzwerk:
mich in diesen Momenten bei der Abendgala stets unwohl gefühlt. Ich wusste nicht, dass man nach dem Essen auch aufstehen und zum Plaudern zu den anderen gut 100 Tischen gehen durfte. So saß ich steif an meinem Platz, führte verkrampften Smalltalk mit Nachbarn, von denen ich gar nicht genau wusste, wer sie waren (man durfte ja nicht so direkt fragen), und wurde oft irgendwann von ihnen allein sitzengelassen.
    Nach einigen Jahren lernte ich, auch diesen Part zu genießen.
    Stephen Pound saß zu meiner Linken, der Parlamentsabgeordnete der Labour-Partei für den Bezirk Ealing North. Er war einmal Nordirland-Minister im Schattenkabinett gewesen, in seinen jungen Jahren Amateurboxer und Seefahrer, aber nun mit 63 ein gemütlicher Mann und vor allem noch immer glühender Fan des FC Fulham.
    «Volzy, du bist eine lebende Legende in Fulham», begann er, und im Nu war er dabei, mir detailliert alle Großtaten aufzuzählen, die ich angeblich in meinen Spielen für den Klub geleistet hatte. Ich hatte mittlerweile Übung in dieser Art Gespräch mit englischen Fans, aber nichtsdestotrotz war es jedes Mal wieder eine Herausforderung. Es wurde nun erwartet, dass ich möglichst schlagfertig und bescheiden mich selbst runtermachte, um meine Selbstironie und Bodenhaftung zu beweisen.
    Diese Gespräche haben etwas von einem Duell und etwas zutiefst Institutionalisiertes: Der Fan beweist seine Hingabe dadurch, dass er dem Spieler möglichst viele Spielszenen möglichst originalgetreu schildert, und der Spieler versucht, sich durch Zurückweisung des Lobs als netter, bescheidener Kerl zu erweisen. Auf jede selbstironische Relativierung des Fußballers antwortet der Fan mit noch hysterischerem Lob.
    Die einzige Taktik, diese im Kreis verlaufenden Gespräche zu durchbrechen, war, den Fan nach
seinem
Leben zu fragen; ohne zu direkt zu werden, versteht sich. Stephen Pound, Parlamentsabgeordneter die ganze Blair-Ära hindurch, hatte doch wirklich auch etwas über sich zu erzählen.
    Mit großem Vergnügen lauschte ich oftmals den Radioübertragungen der Parlamentsdebatten auf der BBC . Wenn sich Premierminister Tony Blair und Oppositionsführer William Hague einen Schlagabtausch lieferten, bei dem Wortwitz ähnlich wichtig wie der Inhalt war, wenn nach einem gelungenen Konter des einen seine Parteifreunde im Parlamentssaal begeistert
«Hear, hear!»
riefen («Hört, hört!»), so wie man es seit Hunderten Jahren in Westminster tat, ergriff einen das wie der Jubel im Stadion. Einmal hatte ich das Parlament besichtigt, ich war erstaunt gewesen, dass die Hinterbänkler teilweise während der Debatten auf ihren Sitzen schliefen; da kam im Radio eine ganz andere Stimmung rüber.
    Nun, meistens stehe das Ergebnis einer Parlamentsabstimmung schon vor der Debatte fest, das erkläre das Desinteresse Einzelner, sagte mir Pound. Andererseits fördere die Tatsache, dass die Reden oftmals nur Schau seien, auch den Mut, witzig zu sein. Er habe einmal eine Rede zum Planungs- und Energiegesetz halten müssen. Vorher wettete er mit einem Parlamentskollegen, wie viele Namen von Fulham-Spielern er in der Rede unterbringen könnte.
    «Ich danke meinem ehrenwerten Freund für die positive Art, in der er sich mit diesem exzellenten Gesetz befasst hat», schloss Pound an den Vorredner an und war dann schon im dritten Satz mittendrin in der Wette: «Wenn man es aus der Sicht von solch exzellenten Experten wie McBride und Healey betrachtet, ist es dann nicht so, dass die Bauvorschriften immer hintergangen werden, egal, wie gut sie sind? … Ich denke an einen Mann aus meinem Wahlkreis, Mr. Simon Davies, der mir von einem Haus berichtete, das in Wales gebaut wurde und als Teletubby-Haus bekannt ist. … Was die Baudichte in Zentrallondon betrifft, so haben Leute in meinem Wahlkreis sogar auf bestehenden Kellern draufzubauen versucht – oder auf Kasey Kellers, wie die Leute bei uns sie nennen. … Stimmt mein ehrenwerter Freund mit mir darin überein, dass es nicht darauf ankommt, ob eine Person Konchesky oder Stalteri heißt, entscheidend ist doch, welches Haus die Menschen brauchen, nicht, wo sie herkommen. … Ich gratuliere dem ehrenwerten Gentleman für die Art, wie er dieses Gesetz beworben hat. Er hat auf fesche und apokalyptische Bilder verzichtet. Er war mehr ein Barrington als ein Dexter, mehr ein Gooch als ein Gower, mehr ein Erik Nevland als ein Diomansy Kamara. Sein straffes, karges, präzises, elegantes Gesetz ist dadurch nur besser
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher